Vor 50 Jahren asphaltierten Kraftwerk die „Autobahn”, brachten Queen ihr zweites Album heraus und der Glam Rock stürmte die Charts mit The Sweet und T. Rex. Doch was geschah sonst noch so und wird gerne vergessen? Hier ein paar Jubiläen von guter Musik, an die wir uns heute noch erinnern sollten.
Betty Davis – „Your Mama Wants Ya Back”
Roh, ungezügelt, kontrovers: Betty Davis ist eine der mutigsten Stimmen im Funk. Die 2022 verstorbene US-Amerikanerin ist bis heute für ihre rauen, provokativen Vortrag und ihre sexuell aufgeladenen Texte bekannt. Auf ihrem Album-Klassiker „They Say I’m Different” gibt es viele unterschätzte Juwele. Das vielleicht groovigste davon ist „Your Mama Wants Ya Back”. Davis singt in typisch spielerischer Manier, während Bass und Gitarre einander mit unfassbar coolen und eingängigen Riffs ergänzen, das Schlagzeug sich tänzerisch voran tastet und irgendwann ein flippiges E-Piano einsetzt. Auch das macht Betty Davis’ Musik aus: Sie hat es stets verstanden, mit den richtigen Musiker:innen zusammenzuarbeiten.
Captain Beefheart – „Same Old Blues“
Mit „Trout Mask Replica“ schreiben der kalifornische Autor, Komponist und Musiker Captain Beefheart und seine „Magic Band“ 1969 Musikgeschichte in Form eines Albums, das sich an Dissonanzen, Genremixen, Polyrhythmen und grotesken Texten kaum überbieten lässt. Nachdem der kommerzielle Erfolg ausbleibt und die Band zerbricht, geht Beefheart für einige Jahre nach Großbritannien und veröffentlicht hier 1974 mit anderer Besetzung neue Musik. Der Titel „Same Old Blues“ ist kennzeichnend, denn in der allgemeinen Wahrnehmung sind diese Lieder eher verseichtet: weg von seinem markanten, aufreibend-abstrakten Stil wandert er zu einem klassischen, rhythmischen Blues. Weniger innovativ, dafür etwas ohrwurmlastiger bleibt Beefheart auch 50 Jahre später noch faszinierend, in all seinen Facetten. Selbst wenn dieser Song keine neuen Höhen erklimmt, schwingt er zufrieden in bekannten Gefilden und bildet ein kleines Testament für den Blues und Soul der 70er. Immerhin: Nur ein Jahr später veröffentlichen Frank Zappa und Captain Beefheart „Muffin Man“ und es geht wieder weiter mit Humor und rockigen Gitarren-Riffs.
Frank Zappa – „Uncle Remus“
1974 erobert Frank Zappas Album „Apostrophe (’)“ Platz 10 der Billboard-Charts und eine Goldene Schallplatte. Im Kopf geblieben sind Lieder wie „Don’t Eat the Yellow Snow“ mit ihrer Kombination aus Zappas typischem, schrägen Humor und musikalischen Achterbahnfahrten. Eine Ausnahme zu dieser (lyrischen) Absurdität bietet „Uncle Remus“. Hier kontrastiert Zappa Erfahrungen der amerikanischen Black Community der 1970er, zwischen erzwungener Assimilation und der Zelebration der eigenen Identität. Er begegnet seinen Gefühlen zu Alltagsrassismus und dem Vermächtnis der Bürgerrechtsbewegung mit einem Soul-Chor, Klavier und einer Stimme, die im Ohr bleibt. In typischer Zappa-Manier gibt es mehr als eine finale Version des Songs (1975, 2016, 2022).
Cartola – „Corra e Olhe o Ceu”
Wahrscheinlich lässt sich die beste brasilianischen Musik in zwei von drei Fällen mit dem Wort „Saudade“ beschreiben. Saudade, das ist das portugiesische Konzept des Weltschmerzes, eine melancholische Sehnsucht nach etwas Verlorenem oder Unerreichbaren. Die Samba-Musik des brasilianischen Sängers, Komponisten und Dichters Cartola strahlt in ihrer zarten Verträumtheit eben dieses Schwelgen aus. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist „Corra e Olhe o Ceu“. Die sommerliche Gitarre, die urige Trompete, eine beinahe mystische Flötenmelodie und Cartolas butterweicher Gesang: All das klingt nach Fernweh und Geborgenheit zugleich.
Joni Mitchell – „Just Like This Train”
Joni Mitchell ist ihr Leben lang Reisende gewesen. In ihren Songs aus den 70ern ist nicht klar, ob sie auf ihren Fahrten Nordamerika mehr die Welt erkundete oder vor sich selbst floh. So oder so, sie machte auf dem Weg Bekanntschaften: dünne Männer mit fetten Zigarren, Kinder mit Schokoriegeln, Liebhaber. Auf „Just Like This Train“ beschreibt sie diese Begegnungen mit Resignation, sie wirkt erschöpft vom eitlen und flüchtigen Spiel der Liebe. Und während sie in ihrem jazzigen Timbre singt und das eingängige Gitarrenmotiv immer wiederkehrt, verharrt das Bild einer Künstlerin, die ihr Leben wie einen Zug vorbeiziehen sieht.
ABBA – „Waterloo”
In schriller Kleidung stehen da ABBA – Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid – besingen im modernen Stil mit viel Disco-Pomp die Schlacht von Waterloo:
Waterloo, I was defeated, you won the war
Waterloo, promise to love you forevermore
Waterloo, couldn’t escape if I wanted to
Waterloo, knowing my fate is to be with you
Woah, woah, woah, woah, Waterloo
Was noch so ein kleiner Fun Fact dabei ist: ABBA hat mit diesem Song den Eurovision Song Contest gewonnen. Damit ging der Sieg das erste Mal nach Schweden.
Sparks – „Here in Heaven“
Die Gebrüder Ron und Russell Mael sind an Theatralik selten zu überbieten. Auf „Here in Heaven“ machen das die beiden Gründungsmitglieder der Glam-Rock-Band Sparks besonders deutlich. Russell Mael singt sich in überspitztem Falsett von einer bombastischen Melodie zur nächsten. Währenddessen türmen sich schillernde Keyboards, polternde Drums und schriller Hintergrundgesang auf, bevor die Gitarre zu einem elektrisierenden Solo ausholt. Und als sei das alles nicht genug, inszeniert der Text eine Tragikomödie: Ein Liebespaar plant, sich gemeinsam das Leben zu nehmen; doch nur ein Partner tut es tatsächlich und ruft vom Himmel aus seiner verlorenen Liebe hinterher.
Das Titelbild zeigt Betty Davis‘ Albumcover für „They Say I’m Different“. Foto: Just Sunshine Records
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