Der werte Herr Gatoah war schon vieles in seiner Karriere: Terrorist, Märchenerzähler, Liebhaber mit Amnesie und Gesellschaftskritiker. 11 Jahre nachdem er mit „Willst du“ die Charts eroberte, gesellt sich das Etikett Metal-Sänger zu seinem Repertoire.
Im November 2023 schockte Alligatoah auf einem Kölner Konzert Fans mit der Ankündigung, seine musikalische Karriere an den Nagel zu hängen. Untermalt wurde der Abschied von einer Orchesterversion seines „Trauerfeierlieds“. Kurz darauf löschte er fast alle seine Social-Media-Posts. Während die ersten bereits weinten, regte sich bei anderen der Zweifel, ob nach fast 18 Jahren wirklich Schluss mit der Musik war.
Und die Skeptiker sollten Recht behalten, denn nur zwei Wochen später erschien „SO RAUS“: Im dazugehörigen Musikvideo findet Alligatoahs Mitarbeiter und Freund Battleboi Basti seinen letzten Willen und versucht diesen mithilfe einer KI zu erfüllen. Heraus kommt ein Song mit Fred Durst, bekannt als Frontsänger der amerikanischen Nu-Metal-Band Limp Bizkit. Und er fetzt. „SO RAUS“ vermischt Deutsch und Englisch und lädt zum Headbangen ein, Durst lässt die Nostalgie an die 2000er aufkommen. Aber auf einmal ist das kein Rap mehr. Nein, das gesamte Album, das auf “SO RAUS” folgt, zeigt einen Ausflug in ein neues Genre: Nu-Metal ist back – und Alligatoah hat ihn zurückgeholt?
Wirklich überraschend ist das nicht. So stand er 2022 bereits bei Rock am Ring und Wacken Open Air auf der Bühne. Auch die Kehrtwende an sich ist ein vertrautes Motiv für Alligatoah: Fans erinnern sich an damalige Kritiken, er habe sich seit „Willst du“ lyrisch und musikalisch verändert. Thematisch passend beschreibt er auf „SO RAUS“, wie er den Bezug zur modernen Musikindustrie und ihren „Modeworten“ verlor. Er hält schmunzelnd fest: „Worüber ihr heute lacht, sind die Dad-Jokes von morgen, come on“. Daher sei er „so raus, so raus, so raus“. Es geht um FOMO und Digital Detox, also nicht ganz entgegen dem Mainstream und auch nicht unbedingt neu.
Neu, neuer, am neusten?
Das ist wahrscheinlich das Grundproblem des Albums. Lyrisch bleibt es oftmals selbstironisch und absurd, doch fernab vom Rap-Reimschema auch etwas flacher als gewohnt. Die Kiste des Märchenerzählers wurde in 18 Jahren konstant gebraucht und geleert, fast alles hat man schon einmal gehört. Egoismus und falsche Bescheidenheit in „ICH ICH ICH“ wirken wie das Duett mit Sido in „Monet“, und der Appell gegen die Spießbürgergesellschaft in „WEISSE ZÄHNE“ ist weder revolutionär noch aufregend: „Ich hab‘ dich niemals lachen seh’n bei ’nem versauten Witz / Ich vertrau‘ dir nicht.“ Über einen versauten Witz zu lachen ist wohl nicht die Krone der Gegenkultur.
Ganz abschreiben kann man den metaphernschwingenden Rapper aber nicht, beispielsweise auf „ICH FÜHLE DICH“: Wenn Alligatoah von Ohrwurm-Gesichtern und Menschen erzählt, die Radiofrequenzen im „Zahngold“ empfangen, macht sich die gute Laune breit, die frühere Songs in einem auslösen. Die Mischung aus Trap und Metal löst Mitsingstimmung aus. Es ist eine der besten Refrain-Kreationen, die Alligatoah in letzter Zeit abgeliefert hat. Lustig bleibt es in „SCHEISSDRECK“: „Stellt der Bulle wieder solche dummen Fragen, wie / Ob wir vor der Fahrt etwas getrunken haben / Das geht dich ein’n Scheißdreck an, ein’n Scheißdreck geht dich das an.“
Es fetzt, es braust
Trotz dieser mangelnden Innovation bereitet „off“ immensen Spaß, dieses Mal nicht zwangsläufig aufgrund von Alligatoahs lyrischem Feinschliff, sondern vielmehr durch seine Stimme, seine Sounds und den Ausflug in die Hau-Drauf-Ästhetik. Fans des deutschen Nu-Metals sind mit „WER LACHT JETZT“ und „ES KRATZT“ wunderbar bedient. „DAYLIGHT“ bewegt sich zwischen romantischen Eingeständnissen und grölenden Hooks und eignet sich perfekt für das Mitsingen mit der eigenen Freundin beim Roadtrip (aus eigener Erfahrung). Effektiv wird das vor allem, wenn es Alligatoah gelingt, die ironische Maske abzulegen und sich die Seele aus dem Leib zu singen. Diese Momente über Liebe, Zuneigung und Umarmungen sind selten, aber eindrucksvoll.
Hervor sticht der Song „PARTNER IN CRIME“ mit Tarek von K.I.Z. Beide Rapper zeigen hier ihr melodisches Können, harmonieren im Duett und lassen sich von einer rockigen Gitarre begleitet durch den Song schwingen. Wenn man nur einen Song aus diesem Album hören kann, sollte es dieser sein (oder „DAYLIGHT“).
Ganz rund ist dieser fulminante Ausflug in den Nu-Metal nicht immer. Die zuvor erschienenen Singles versprachen ein Album, das sich nicht hundertprozentig erfüllt hat. Das lyrische Rollenspiel ist für Fans vertraut, für Neue aber wahrscheinlich immer noch spannend und kann auch Alten mehr als einen Schmunzler abgewinnen. Alligatoah zeigt doch gekonnt, was er in 18 Jahren Musikkarriere gelernt hat, auch fernab vom Rap.
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