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Aufstand, Mädchen!

18. Januar 20249 Min. gelesen

Wie in den 90er Jahren ein paar Bands versuchten, die radikal feministische Riot-Grrrl-Bewegung in Deutschland zu kickstarten.

Punk: für viele das Genre der Rebellion, das einen Gegenentwurf zur stummen, langweiligen Gesellschaft voller arbiträrer Hierarchien darstellt. Aber die Bewegung ist eigentlich regiert von (jungen) Männern: Die großen Punk-Bands der ersten Stunde, die Szene in den 80er Jahren. Mosh-Pits, Testosteron und Skinheads die sich auf Konzerten gegenseitig verprügeln. Songs mit ironisch präsentierten Vergewaltigungsfantasien, sexuelle Belästigung von weiblich gelesenen Konzertbesuchenden, Ausgrenzung aller nicht-weißen, nicht-heterosexuellen, nicht-männlichen Punks. Ja, Punk gehört einfach den Männern.

RRRevolution Girl Style Now!

Oder? Was aber, wenn man ein Mädchen ist, oder eine Frau, die gerade weil sie die heuchlerischen Normen des Rests der konservativen Gesellschaft zurückweist, zum Punk gekommen ist? Was, wenn man das Punk-Ethos ernst nimmt und sich nicht von irgendwelchen Männern sagen lassen will, welche Rolle man in ihrer Welt zu spielen hat? Was, wenn man es satt hat, bei allen Shows immer ganz hinten stehen zu müssen, isoliert, alleine und angreifbar? Was kann man dann tun?

Anfang der 90er Jahre fanden in den Vereinigten Staaten einige Frauen auf diese Frage eine klare Antwort: radikale, feministische Subversion. Es begann mit dem Erstellen von Fanzines, in der Punk-Szene beliebten Musikmagazinen, in denen sie dezidiert weibliche Erfahrungen, Gedanken, Ansichten teilten. Mit der klaren Intention, sichtbar zu werden in einer Punkwelt, die vehement versuchte, alles von der Norm abweichende unsichtbar zu machen. Dadurch vernetzt sprossen Bands aus dem Boden – bedeutend, nicht weil sie die ersten Punk-Bands mit weiblicher Besetzung waren. Bedeutend, weil sie viele waren, weil sie politisch waren, weil sie dem nonchalanten Alltagssexismus ein Programm der radikalen Selbstermächtigung, Wiederaneignung und Revolution entgegen stellten.

Bands wie Bikini Kill, Bratmobile, Huggy Bear und The Third Sex wollten sich nicht angleichen. Im Gegenteil. Ihre Texte waren sarkastisch und politisch („You wanna stab me, and fuck the wound“), bei Auftritten trugen sie stereotypisch mädchenhafte Kleidung, Slogans wie „Slut“ auf dem Bauch oder einfach gar nichts; alles auf der Mission, sexistische Stereotype aufzudecken, die verachtenswerte Sexualisierung alles Weiblichen zu entblößen und die Macht über das eigene Bild wiederzugewinnen. Darüber hinaus war es das Ziel, sichere Orte für Frauen im Punk zu schaffen, Wege in die Musikbranche zu ebnen, Alternativen zu kommerzialisierten, männlich geleiteten Labels und Produktionsfirmen aufzubauen. Die Bewegung hieß Riot Grrrl, ihr Manifest „Revolution Girl Style Now!“

Seid gegrüßt!

Auch in Deutschland waren junge kunstschaffende Frauen Anfang der 90er-Jahre (Überraschung) mit viel Sexismus konfrontiert. Und Auftritte der aus den USA überschwappenden Bewegung inspirierten auch hierzulande Musiker:innen, zu rebellieren. Eher losgelöst von den Ursprüngen in der Punk-Musik war der Gegner in Deutschland allerdings zuallererst das Pop-Establishment. Frauen gründeten Pop- bzw. Pop-Punk Bands, die sich von der verstaubten Neuen Deutschen Welle absetzten, ihr Geschlecht und ihre Unterdrückung zum Thema machten, Zines und politische Thesen verfassten. An mancher Stelle wurden sie die deutschen Riot Grrrls genannt.

So zum Beispiel die Hamburger Band Die Braut haut ins Auge.Der Name ist eine Anspielung auf die Desillusionierungen jung verheirateter Frauen, die aus der Tristesse des häuslichen Lebens ausbrechen wollen. Gegründet von Bernadette La Hengst, am Bass Petra Devlin, brachen sie aus den ihnen auferlegten Labels der „Frauen-” oder „Mädchenband“ aus, lehnten sich auf gegen die sexualisiert humoristische Rezeption ihrer Musik und traten mitunter auch ohne Kleidung auf, um die „Ausziehen!“ Rufe der Männer im Publikum verstummen zu lassen.

Die Lassie-Singers, ebenfalls aus Hamburg, grenzten sich musikalisch noch mehr vom Mainstream ab; und ihre Texte wurden expliziter, sie problematisierten mal die „feministischen“ Männer der Musikszene, mal die recht idiotische Radiokultur, mal die krampfhaften Zwänge von Liebe und Partnerschaft im Deutschland der 90er. Sie machten sich über eigentlich alles lustig, am besten dargestellt in ihrem Song „Wir wollen gar nicht besser sein“ mit dem Text: „Alle sagen: ‚Ihr singt falsch und laut, dass ihr euch auf die Bühne traut!’“ und einem Refrain, der an  ein Kinderlied erinnert.

Am deutlichsten der Riot-Grrrl Bewegung zuzuschreiben ist die Band Parole Trixi mit der Frontsängerin Sandra Grether. Parole Trixi machte explizit, was bei den anderen Bands lediglich mitschwang: Die Band war auch ein politisches Projekt, war sich ihrem Status als Grrrl-Band bewusst und thematisierte in ihrem einzigen Album ganz deutlich, was sie von den gesellschaftlich aufgestanzten Rollenbildern hielt, und wie sie die Zukunft eines Deutschlands sehen, welches sich von Neoliberalismus und status-quo regieren lässt: „Sie erzählen dir, du hättest eine Wahl, so meinungsfreie Agenturjobs sind ja gut bezahlt“ oder „Seid gegrüßt, junge Männer von heute! Ich hoffe, irgendwann bereut ihr, wenn alles, was ihr seht, nur noch aus Klischees besteht!“

Ist das wieder so `ne Phase?,

Die Riot-Grrrl-Bewegung konnte sich nur einige Jahre im Zeitgeist halten, bevor sie weggespült wurde von der Kommodifizierung ihrer Ästhetik und der Umdeutung ihrer politischen Botschaft. Aus Grrrls wurden in der Berichterstattung Girlies, mädchenhafte Kleidung zum süßen Fashion-Trend und Girl-Bands wie die Spice Girls zum neuen, unkritischen Leitbild für junge Frauen, dem man unproblematisch nacheifern durfte. In Deutschland war es nicht anders: Die besprochenen Bands schafften es nie, im Musik-Mainstream richtig Fuß zu fassen, auch weil die Medienlandschaft keinerlei Interesse an progressiver, von Frauen gemachter Musik hatte. Alle drei Bands waren bis 2002 aufgelöst. Aber der Tatendrang ihrer Mitglieder endete nicht: neue Bands tauchten auf, die Lassie Singers gründeten ein Label namens Flittchen-Records, Sandra Grether mit ihrer Schwester Kersty auch Musikmagazine und ein Label für größtenteils weibliche Künstler:innen, Bernadette La Hengst eine Booking-Agentur.

Das Vermächtnis der deutschen Riot Grrrl-Bewegung – bei der es zweifelhaft bleibt, ob man sie nachweisbar Riot Grrl oder eine Bewegung nennen kann – war weniger eine Revolution der Musik. Sie lösten auch keine Revolution der Musikbranche aus. Aber sie waren ein wichtiger, vielleicht notwendiger Teil einer größeren Entwicklung. Sie waren einige der ersten Frauen, die erkannten, dass es auch in Deutschland notwendig ist, sich zu vernetzen, gegenseitig aufzubauen, und an den etablierten, männlich dominierten Branchen vorbei Orte für Musiker:innen zu schaffen, ihnen zu ermöglichen, Musik zu machen, zu produzieren. 

In einem Land, wo weiterhin große Festivals fast ausschließlich Männer booken, die Labels und Produktionsfirmen immer noch viel zu wenig divers sind, formiert sich immer noch Widerstand. Von Frauen und queeren Menschen gegründete Kollektive und Formationen wie Soundsysters, das Female Producers Collective, Cock Am Ring oder das Wut Kollektiv bilden die moderne Gegenkultur und tragen die Revolte der 90er-Jahre weiter. Die Frauen der Lassie Singers, der Braut oder von Parole Trixi konnten ihren Kampf nicht gewinnen. Aber sie konnten ihrerseits inspirieren und einer neuen Generation zeigen, dass es sich zu kämpfen lohnt.

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