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Auserwählt statt auserzählt?

13. März 20257 Min. gelesen

Nichts und niemand scheint Kendrick Lamar derzeit aufhalten zu können. Bereits vor zehn Jahren katapultierte sich der Rap-Superstar aus Compton mit seinem Album „To Pimp a Butterfly“ in die Geschichtsbücher des Hip-Hop.

Als Kendrick Lamar Mitte Februar bei der Halbzeitshow des Superbowl auftritt, krönt er damit ein außergewöhnlich erfolgreiches Jahr. Zuvor schon veröffentlichte der Rapper aus Compton, Los Angeles sein gefeiertes Album „GNX“ und ging als unbestreitbarer Sieger aus einem spektakulär inszenierten rap beef mit dem kanadischen Superstar Drake hervor. Darin sprach Lamar seinem Rivalen dessen Glaubwürdigkeit als Rapper ab, warf ihm wiederholt Pädophilie vor und demütigte ihn nicht nur inhaltlich, sondern auch durch seine schiere Überlegenheit als Musiker. Die massenmedial ausgetragene Schlammschlacht scheint dabei vor allem eines zementiert zu haben: Kendrick Lamars Rolle als größter Rapper seiner Generation.

Doch eben diesen Status, den Lamar nun in kommerzieller Hinsicht für sich beanspruchen kann, hat er vor genau zehn Jahren künstlerisch bereits erlangt, nämlich mit seinem Album „To Pimp a Butterfly“.

Der Sound trieft vor Schwarzer Geschichte

Es ist das Jahr 2015. Kendrick Lamar hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits als aufstrebende neue Stimme im Hip-Hop etabliert. Mit seinem Album „good kind, m.A.A.d city“ hat er seiner Heimat Compton ein filmreifes, erzählerisch meisterhaftes Denkmal gesetzt, das an die Gangsta-Rap-Größen der 90er anschließt. Er versteht Hip-Hop als Wettbewerb, will sich und seine Mitstreiter:innen zu neuen kreativen Höhen treiben. Die Maßstäbe setzt er dabei selbst: Kendrick Lamar veröffentlicht mit „To Pimp a Butterfly“ ein Werk, das in textlicher, musikalischer und politischer Hinsicht ebenso vielschichtig wie fulminant ist.

Spätestens mit diesem Album gewinnt er die alteingesessenen Rap-Fans, die Feuilletons und auch Barack Obama für sich. Er bricht konzeptuell aus der West Coast aus und greift nach der Welt. Lamar begibt sich mit „To Pimp a Butterfly“ auf eine kreative, spirituelle und politische Reise, verfolgt die Wurzeln des Hip-Hop, der Schwarzen Kultur und seines eigenen Selbst geschichtlich zurück.

Das kommt auch in der Produktion des Albums zum Ausdruck. So beginnt das Eröffnungsstück „Wesley’s Theory“ mit einem Sample von Boris Gardiners „Every Nigger Is a Star“, einem jamaikanischen Filmsoundtrack aus den 1970ern – welches dann aber prompt abgelöst wird von den harten G-Funk-Grooves, die auch der Single „King Kunta“ mit ihren fetten Bässen und bedrohlichen Klavierakkorden einen unmissverständlichen Gangsta-Charakter verleihen. Dagegen trieft das verführerische „These Walls“ vor Neo-Soul-Glanz, „u“ ufert in dunklen Free Jazz aus, Keyboard, Saxofon und Gesangsharmonien treiben „For Sale? (Interlude)“ in psychedelische Gefilde.

Lamar verknüpft vielfältige Themenstränge miteinander

Auch konzeptuell ist „To Pimp a Butterfly“ ein enorm dichtes Album. Lamar reflektiert den Wert von Ruhm und Geld, offenbart Selbstzweifel und Schuldgefühle gegenüber der hood, die er für den eigenen Erfolg hinter sich gelassen hat. Diese thematischen Stränge verbindet Lamar in einem Gedicht, das er über das Album hinweg in Bruchstücken vorträgt und erst im finalen Stück zu einem Ganzen zusammenfügt. Ihm gelingt damit ein genialer Kniff: Denn wie sich herausstellt, liest er dieses Gedicht keinem geringeren als der verstorbenen Rap-Legende 2Pac Shakur vor – mit dem er im Anschluss in einen fiktiven Dialog über Rassismus, Widerstand und inneres Wachstum tritt.

Lamars Selbstverständnis ist auf diesem Album gespalten: Einerseits begreift er sich als Fürsprecher für Schwarzes Selbstbewusstsein im Angesicht von institutionellem Rassismus, beschwört Optimismus („Alright“) und Selbstliebe („i“) trotz anhaltender Diskriminierung. Andererseits hadert er mit dieser Rolle und wirft sich selbst Scheinheiligkeit vor, weil er als Jugendlicher selbst Ganggewalt gegen andere Schwarze verübt habe („The Blacker the Berry“). Und auch das Wissen, das er dank seiner Erfahrungen draußen in der Welt gesammelt hat, erscheint ihm wertlos, wenn er dabei seine eigenen Wurzeln vergisst („Momma“). Diese Spannung zwischen Auserwähltsein und Zweifeln, zwischen Fortgehen und Heimkehren zieht sich wie ein roter Faden durch „To Pimp a Butterfly“ – und durch Kendrick Lamars gesamtes Werk.

Selbstbewusst an der Spitze

Doch heute wirkt es, als habe Kendrick Lamar mit sich und seinem Erfolg Frieden geschlossen. Als nehme er seine Führungsrolle im Hip-Hop und im Schwarzen Amerika dankend an und sei gewillt, sie gegen seine Gegner zu verteidigen – auch gegen die innerhalb der Black Community. Dabei haben ihm auch seine jüngsten Stiche gegen Drake keineswegs geschadet, sondern ihn vielmehr in seinem Ruf bestärkt. Sein Auftritt beim Superbowl stellt das einmal mehr unter Beweis.

Im Vergleich dazu ist die Öffentlichkeitswirksamkeit von „To Pimp a Butterfly“ beinahe schon bescheiden. Und doch lässt sich dieses Album als Manifest eines Künstlers begreifen, dessen musikalische und erzählerische Ambitionen kaum Grenzen kennen. Es ist ein derart vielschichtiges Werk, dass sich in diesem Text nicht im Detail über Lamars emotional pointierten Vortrag schreiben lässt, nicht über jedes clevere Reimschema oder jedes hervorragend platzierte Produktionselement – und auch nicht über die Art und Weise, wie Lamar biographische und geschichtlich-politische Erzählstränge miteinander verknüpft. Aber eben das gehört zur Magie dieses Albums: Mit jedem Hören entdeckt man neue Details, entfalten sich neue Bedeutungen in den Texten. Kendrick Lamar ist auch deshalb der größte Rapper seiner Generation, weil seine Musik diese Generation mit Sicherheiten überdauern wird. „To Pimp a Butterfly“ zeugt von einer Geschichte, die längst nicht auserzählt ist.

Bild: Renell Medrano

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Felix Meinert - Redaktion

Schon mit fünf Jahren war ich musikalisch begeistert: Damals trat ich mit meiner Fantasieband vor meiner Familie auf, sang (besser: schrie) auf meiner Fantasiesprache und trommelte mit Plastikstöcken unkontrolliert auf meinem Hüpfball herum. Da der ersehnte Durchbruch aber ausblieb, tobe ich mich heute lieber beim Hören und Schreiben aus. Oft feuilletonistisch, gerne nachdenklich bis nörglerisch, stets aber von Herzen schreibe ich über so ziemlich alles zwischen Rock, Pop, Folk, Hip-Hop, Jazz und elektronischer Musik.

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