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Balancieren mit Tönen und Klängen 

11. Juli 202413 Min. gelesen

Andrea Cicalese ist erst 18 und spielt mit seiner Guarneri-Violine in der Hand schon auf den großen Konzertbühnen. Im Gespräch erzählt er von der Zusammenarbeit mit den Maestri der bedeutenden Orchester und wie es ist, als Solist im Mittelpunkt zu stehen. Seine Inspiration findet der junge Geiger aber auch in Beatles-Songs. 

Andrea Cicalese mit dem Pianisten Amadeus Wiesensee im Hubertussaal. ©Balthasar Zehetmair

Durch die hohen Fenster des Barocksaals flutet die rostorange Abendsonne. Warm und voll erklingt die Mozart-Sonate aus der Geige von Andrea Cicalese. Das rund 300 Jahre alte Holz seiner Violine vibriert. Die Töne fließen aus den zarten Bewegungen des Bogens in die Saiten. Der junge Solist auf der Bühne des Hubertus-Saals empfängt jede Note des schwierigen Stücks in e-Moll aus dem Jahr 1778 mit einem breiten, wohlwollenden Lächeln. Seine Spielfreude strahlt und infiziert das Publikum. 

Als wir telefonieren, befindet sich Andrea mitten in den Vorbereitungen für diesen Auftritt am Montagabend im Nymphenburger Schloss. Gemeinsam mit dem renommierten Pianisten Amadeus Wiesensee, seinem Spielpartner an diesem Abend, studiert der junge Geiger dafür Sonaten von Mozart, Dvorak und Brahms ein.  

Berliner Philharmonie, Tonhalle Zürich, Kleinhans Music Hall of Buffalo oder im Gasteig. Seit rund einem Jahr spielt Andrea Cicalese als Solist an der Violine regelmäßig mit großen Orchestern oder im kleinen Kammer-Ensemble in den Konzertsälen Europas und Nordamerikas. Von der Fachpresse wird der 18-jährige Italiener mit der Wahlheimat München schon jetzt als „Rising Star” betitelt. Am Telefon begegnet eine zarte, süßliche Stimme mit leichtem Akzent, die mit viel Leidenschaft und Elan ins Erzählen kommt.

Du musst innerhalb weniger Tage oft ein ganz neues Konzertprogramm einüben. Fällt dir das leicht oder wie gehst du damit um? 

Ich bin da natürlich noch nicht so sehr erfahren, da ich erst die letzten Monate gestartet habe, wirklich viele Konzerte zu spielen. Vor zwei Wochen habe ich in Pilsen das Glazunov Violin Konzert gespielt. Das ist jetzt nicht gerade das leichteste, genauso wie das Bruch Violin Konzert, das ich bald spielen werde. Auch die 3. Sonate von Brahms, die ich gerade einübe, kenne ich nicht. Das sind ganz neue Konzerte für mich, aber auch neue Erfahrungen. Ich würde nicht sagen, das fällt mir leicht, aber ich habe damit keine Probleme, das gehört zu meinem Job.

Die Vielfalt der Musik unterstützt mich da im Alltag und bietet mir viel Gesellschaft.

Gerade probst du mit dem Pianisten Amadeus Wiesensee für dein nächstes Konzert diesen Montag im Nymphenburger Sommer. Wie läuft das ab? 

Da haben wir, gerade bei den schwierigen Mozart-Sonaten, erstmal ein bisschen zusammen gespielt und geschaut: Was ist der Stand? Was spielen wir und wie spielen wir? Haben wir die gleichen Ideen für das Stück? Das bemerkt man sofort. Was ist unsere musikalische Intention, der Kontext der Phrasierung und die Struktur? Wir haben viel geredet, und Amadeus erzählte mir einige Anekdoten von seinen Professoren über diese Stücke und den historischen Kontext. Es war dabei sehr toll, wie Amadeus die e-Moll-Sonate von Mozart, die wir spielen, mit einer a-Moll Sonate für Klavier, die aus demselben Jahr stammt, verglichen hat. Er hat mir Parallelstellen gezeigt und wir haben geschaut, wie diese interpretiert werden können. Das habe ich mit großer Freude übernommen, aber auch ich habe meine Vorschläge eingebracht.  

Der junge Geiger spielte in Pilsen das schwierige Glazunov Violin Konzert. ©Jen Ruzicka.

Und bei Orchestern und den Dirigenten…

Viele Maestri haben mir da bisher überlassen, wie ich die Sachen spielen will, wenn es jetzt natürlich nicht komplett sinnlos ist, was ich spiele. Das ist immer super Arbeit und macht viel Spaß. Dabei ist es so, dass sehr gute Dirigenten die Solisten sehr wohlfühlen lassen, aber trotzdem aktiv dabei sind bei den Proben. Das ist eine hohe Kunst. 

„Sehr gute Dirigenten lassen Solisten sehr wohl fühlen, aber sind trotzdem sehr aktiv dabei bei den Proben. Das ist eine hohe Kunst.” 

Ist es dabei nicht immer auch wichtig, im Konzert ein Gleichgewicht zwischen dem Orchester und dem Solisten zu schaffen? Wie ist das bei den Proben und im Konzert dann?  

Absolut, das ist viel Abstimmung. Da ist zunächst die Lautstärke ein wichtiger Punkt. Der Solist muss einfach viel lauter sein, gleichzeitig muss das Orchester aktiv spielen und sehr präsent dabei sein. In der Phrasierung müssen Dirigenten sehr schnell adaptieren, was ein Solist vorschlägt. Oft hat man eine Probe zusammen mit dem Orchester vor dem Konzert. Da werden dann Basic-Sachen entschieden, wie zum Beispiel, wie schnell wollen wir das Stück spielen. Im Konzert geht man aufeinander ein und ein gewisser Teil des Konzerts ist immer auch ein bisschen Improvisation. Das macht eine Live-Performance lebendig im Unterschied zu Aufnahmen, wo viel vorher geplant wird.

Dabei stehst du natürlich im Mittelpunkt des Geschehens und manchmal spielst auch nur du. Wie ist das für dich? 

Ich fühle da nicht unbedingt Aufregung, aber das nötige Adrenalin. Vor allem habe ich immer Respekt vor meinem Publikum. Ohne diesen kann ich nicht gut spielen. Ich spiele, weil ich fühle, dass ich dadurch versuchen kann, dem Publikum Freude zu bringen. Wenn ich die Aufmerksamkeit des Publikums spüre und die Leute mir die Möglichkeit geben, meine eigene Narration eines bekannten Werks zu bieten und mir zuhören. Die Leute vertrauen mir in dieser halben Stunde und hören einfach mal zu. Das ist toll. Es findet so auch ein Austausch zwischen dem Publikum und dem Orchester sowie den Solisten statt. Dadurch werden die Konzerte noch besser und intensiver. 

Im Oktober spielst du gemeinsam mit den Münchner Symphonikern in der Isarphilharmonie. Wie blickst du auf dieses Konzert? 

Ich habe schon immer davon geträumt, in der Isarphilharmonie zu spielen. Die Isarphilharmonie hat meine künstlerische Einstellung sehr geformt, weil ich meine Idole dort gehört habe und Konzerte, die mich besonders geprägt haben. Nun habe ich die Möglichkeit meine Ideen hier zu präsentieren. Und das zusammen mit den Münchner Symphonikern und ihrem Diregenten Joseph Bastian. Das ist was ganz Besonderes für mich! Die Symphoniker sind im Herz von München, sie werden sehr geschätzt von der Münchner Gesellschaft. Mit ihnen spielen zu dürfen ist eine große Ehre für mich. Ich freue mich sehr darauf. 

Einmal hast du ein Konzert auf der Stradivari des berühmten amerikanischen Geigers Yehudi Menuhin gegeben. Seit ein paar Monaten spielst du nun mit einem Stipendium der Stiftung Music Masterpieces selber auf einer Geige von Guarneri. Wie ist das, darauf zu spielen und welches Gefühl gibt dir das?  

Das hat mein Leben komplett verändert. Durch das Spielen auf der Guarneri erfährt man von Klängen, die man vorher nie wahrgenommen hat. Die Guarneri ist für mich wie eine Spritze, wie eine Injektion, die meinen künstlerischen Ausdruck und meine Sprache als Geiger so unfassbar erweitert. Mit dieser Geige habe ich alle Wörter, alle Klänge, genau das auszudrücken, was ich will. Von diesen Instrumenten gibt es nur wenige Hunderte und ich darf die Guarneri mit meinem Spiel dem Publikum präsentieren. Das ist eine Ehre, genauso wie Guarneri als Geigenbauer zu vertreten und die Instrumente aus seiner Hand, seiner Werkstatt bis heute wirken zu lassen. 

Nun ist es ja auch so, dass zum Beispiel letztes Jahr die „Stradivari da Vinci ex Seidel” für mehrere Millionen Euro versteigert wurde. Deine Guarneri hat sicherlich einen Wert im selben Bereich. Beeinflusst dich das beim Spielen? 

Also, mich beeinflusst nicht der Preis, natürlich muss ich schon aufpassen, das ist auf jeden Fall klar. Sondern mich beeinflusst eher der historische Kontext dieses Instruments. Was die Geige schon alles erlebt hat. Bei wem sie in der Hand war. Wer sie gespielt hat. Die Geige wurde im Jahr 1731 gefertigt und diese Vorstellung, in welchen Situationen diese schon erklang. Das Holz ist alt, aber so gut gealtert. Man spürt, wie die Geige von anderen Musikern behandelt wurde. Alle waren vorsichtig damit, es ist wie ein Schatz. Die Geige entwickelt sich mit den Leuten, die sie gespielt haben. Jetzt gerade nimmt die Guarneri so ein bisschen meine Identität an. Ich passe mich der Geige an, aber die Geige passt sich auch an mich an. 

©Andrea Cicalese

Würdest du sagen, du findest Inspiration für die klassische Musik in ganz anderer Musik weit außerhalb davon? 

Ich höre gerne Billy Joel, Queen oder die Beatles. Die sind in meiner Playlist, genauso wie Frank Sinatra oder Neapolitanische Volkslieder, die ich gerne auf meinen Reisen höre. Diese Musik erweckt Gefühle und hat eine emotionale Bedeutung für mich. In der Klassik studierst du bestimmt Stücke über Jahre hinweg ein und nach viel Arbeit geht man ins Studio und macht viele Takes. Bei der Popmusik ist das ja oft ganz anders. Die größten Lieder entstehen manchmal viel spontaner. Dadurch haben Pop-Lieder oft was sehr Lebendiges. Einfach mal Musik machen und das ist für mich auch inspirierend. Die Geige nehmen und nicht vorher eine Stunde einspielen, sondern einfach drauf losspielen. Ich brauche das. Immer wieder. 

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Balthasar Zehetmair - Redaktion

Sucht den Sinn des Lebens in Bob Dylan Songtexten und findet ihn bei den Wildecker Herzbuben. Meistens in Schallplattenläden und immer mit Kopfhörern auf den Ohren zu sehen.

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