Nach über drei Jahrzehnten im Musikgeschäft tauchen die ersten Gedanken über das eigene, voranschreitende Alter auf: Wie hat sich der Klang eines 50-jährigen Musikers seit seinen Zwanzigern gewandelt? Eine Antwort der britischen Band Blur.
Von Christopher Bertusch
35 Jahre nach ihrer Gründung und acht Jahre nach ihrem letzten Album The Magic Whip präsentiert die britische Rock-Band Blur mit The Ballad of Darren ihr bislang kürzestes Album. Die lange Abstinenz lässt sich durch die diversen anderen Projekte der Bandmitglieder erklären: Frontmann Damon Albarn produzierte mit seiner virtuellen Band Gorillaz zwischen 2017 und 2023 insgesamt vier Alben, Drummer Dave Rowntree veröffentlichte dieses Jahr sein erstes Soloalbum und Gitarrist Graham Coxon versuchte sich mit dem Kollaborationsprojekt The Waeve an einer Mischung zwischen Post-Punk und Folk.
2023 finden sie sich aber wieder zusammen für ein Album, das laut Albarn „an aftershock record — [a] reflection and comment on where we find ourselves now“ darstellt. Wie dieses Zitat bereits verspricht, dreht sich The Ballad of Darren um das Älterwerden, den Verlust alter Freunde und Liebschaften und dem Verlangen nach Orientierung in einer neuen Generation, die nicht mehr mit der eigenen übereinstimmt. Neben dem titelgebenden Darren (übrigens der ehemalige Bodyguard der Band) tauchen im Verlauf der 36 Minuten des Albums immer wieder weitere Namen auf. Blur schürfen alte Wunden auf und geben einen Einblick in ihr Leben, der aber nie alle biographischen Geheimnisse lüftet — ein Gefühl der Verwunderung bleibt bestehen und ergießt sich beispielsweise in „Far Away Island“ in fabelhafte Traumszenen:
I’m cut to pieces
And I’m dancing alone
With the moon and the white whale
Ein warmes Gefühl der Orientierungslosigkeit
Die Arroganz und die Bravade der Musiker, die in den 90ern den Begriff „Britpop“ prägten und die Bühnen der Welt unsicher machten, fehlen thematisch und musikalisch: Albarns Stimme wirkt älter und zurückgenommen, im Gegenteil zu früheren psychedelischen Experimenten wie 13 spiegeln sich entspannte Motive des Lounge oder Alternative Pops in der Soundkulisse wider. Instrumental werden die meisten Tracks auf eine Gitarre, die Drums und ein Keyboard reduziert, Albarn und die Background-Vokalisten harmonisieren in ihren Refrains. Dennoch tosen in Liedern wie „Avalon“ oder „The Heights“ auch einmal Trompeten, eine Posaune und verschiedene Streicher auf und der letzte Track des Albums verspricht noch einmal eine experimentelle Überraschung.
Trotz der schweren Themen bietet The Ballad of Darren eine charakteristische britische Gelassenheit, welche sich bereits am Cover prophezeien lässt. In der Fotografie schwimmt ein Mann in einem verlassenen Freibadbecken, im Hintergrund: ein stürmischer Wolkenhimmel. Trotz thematischer Abhandlungen über persönliche Verluste kann das Tanzbein immerzu – zumindest sanft – mitwippen. Die erste Singleauskoppelung „The Narccissist“ zeigte bereits vor dem Album-Release das prägende Motiv auf: Ein Ende ist erreicht und die Zukunft ungewiss, doch die Hoffnung bleibt.
Faszinierend ist, wie vehement sich Blur gegen die Nostalgiemaschinerie stellt. „St. Charles Square“ porträtiert zwar noch teils den Grundcharakter früherer rockiger, aufschwingender Alben, damit ist die Reise in die eigene Vergangenheit aber auch schon wieder vorbei. 35 Jahre nach ihrer Gründung probieren Blur weiterhin gerne Neues und behandeln in ihrer kürzesten Platte die langen Themen des Lebens: Tod, Angst, Verlust und die Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit. Ein gelungenes Spätwerk.
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