Als Produzent genießt man ihn auf Liedern von Rina Sawayama oder Dorian Electria. Doch mit seinem dritten Album zeigt der englische Songwriter und Musiker erneut, dass er auf seinen eigenen Platten am kreativsten bleibt.
Claritys Sound zu beschreiben, fällt nicht gerade leicht: Seine Stimme bewegt sich definitiv im R&B-Bereich und die Popeinflüsse sind offensichtlich. „VANISHING ACT II“ lässt sich wahrscheinlich in die Reihen von Electropop und Y2K einordnen. Eine glitchverzerrte, maximalistische Produktion verwischt diese Genregrenzen aber spielerisch und erschwert auch oft das Verstehen seiner Lyrics. Diese erzeugen ebenso gerne schwer verständliche, surreale Bilder von Wurmlöchern, Monstern und technologischen Schrecken – das zumindest auf seinem Debütalbum „NO NOW“.
2015 macht er sich damit einen Namen und es fühlt sich an, als würden seine späteren Alben diesem ersten Erfolg nachrennen. Kein Wunder, denn „NO NOW“ ist wahrscheinlich eines der besten Art-Popalben der letzten 20 Jahre. In einer grenzenlos erscheinenden Kakophonie werden hier Sounds miteinander verwischt, Gitarren heulen auf und verworren explodiert der Bass aus den Lautsprechern. Schon damals beweist Clarity auch sein Talent für einprägsame Hooks, die trotz jedem Chaos Ohrwurmpotenzial bieten.
Verschwindende Realitäten und Ambient-Melodien
Auf späteren Alben wird dieser Sound weniger explosiv, mit „Dead Screen Scrolls“ präsentiert er einmal sogar ein Ambient-Album. Diese Verbindung von Musik und Noise beziehungsweise Hintergrundgeräuschen findet man ebenfalls auf seiner neusten Platte. Teil I dieser, „VANISHING ACT I: NO NOUNS“, erscheint 2021 in sehr kurzen, aber spannungsgeladenen elf Minuten. Umso schöner also, dass diese musikalischen Themen nun in „VANISHING ACT II“ in verschiedenen Dimensionen und Längen ausgebreitet werden.
Wiedererkennungsmerkmal auf diesem Album sind Claritys gekonnte Key Shifts, in denen sich seine Melodien hin und her verschieben. Besonders bleibt hier „What Year Is This?!?! JFC“ in Erinnerung. Über diese Tonartenverschiebungen trägt seine hohe R&B-Stimme, darunter verstecken sich Beats, die am besten mit Kopfhörern genossen werden sollten. Einige dieser Melodien sind Fans bekannt, so ist zum Beispiel „Deepest Sea Regret (Resurfaced)“ eine Neuinterpretation eines früheren Tracks.
Die Art und Weise, wie Clarity seine Synths einsetzt, bleibt ebenso magisch wie auf seinen ersten Werken: Oft fühlt sich das an, als würde man in den einbrechenden Abendstunden unter der Decke liegen, während im Fernseher die großen Hits der 90er und 2000er wiedergegeben werden – während der TV-Statik fast das Bild unterbricht.
Titel wie „ALLATONCENESS“ (ein Begriff des Philosophen Marshall McLuhan über die Verbundenheit unserer modernen Mediengesellschaft) verraten es schon, hier geht es thematisch um Gesellschaften, Technologien und Bindungen: „You leave me like you’re a hole in my head / You leave me like I’m the holy ghost“. Natürlich kommt man hier auch um einen gewissen Herzschmerz nicht herum. Diese Lyrics sind persönlicher, aber auch greifbarer als die oft surreale Natur von „NO NOW“.
Simpler oder reifer?
Manche Fans zeigen sich von dieser angeblich auch musikalischen Simplizität enttäuscht. Es fehlt die gewaltsame Produktion früherer Alben. Es ist aber eine Simplizität, die häufig täuscht, denn kaum jemand anderes erzeugt solche Sounds, wie sie Clarity hier hervorzaubert. Immer noch stürzt er uns in Höhen und Tiefen, als würde alles auf einen finalen Moment hinbauen, in dem alles zusammenbricht. Doch anders als in „NO NOW“ kommt es nie zu diesem Bruch. Stattdessen beobachtet man den englischen Musiker dabei, wie seine Hooks noch einfühlsamer, seine Melodien reifer werden. Während man sich damals am Zerfall fasziniert hat, erzeugt das neue Album dadurch Freude, dass Clarity verschiedene seiner musikalischen Motive gekonnt wieder aufgreift: So hallt beispielsweise „even after all we have been through“ am Ende von „Rage Quitting, Quietly“ nach.
Sind es seine Key Shifts oder seine catchy Stimme? So oder so wippt man beim Zuhören immer wieder aggressiv mit. Lieder wie „Old King, The World Moved On“ eignen sich für die nächste Hausparty – zumindest bis zum Crescendo am Ende des Songs, in der ein robotischer Chor sich gegenseitig an stöhnt. Claritys verzerrte musikalische Welt hält viele Überraschungen bereit.
„VANISHING ACT II“ erreicht nicht die Höhen früherer Releases, ist aber für einen ersten Einstieg in diese Welt absolut empfehlenswert. Ein Vorteil für alte Fans: Nicht alle von Claritys EPs der letzten Jahre finden sich auf den bekannten Streamingportalen (sondern auf Bandcamp oder Soundcloud), eventuell verstecken sich für den ein oder anderen hier also nochmal neue Lieder!
Titelbild: Clarence Clarity
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