In den deutschen Städten sterben die letzten Jahre langsam die Nachtclubs weg. Wie kann auch in Zukunft noch gefeiert werden? Die Suche nach Lösungen beginnt am Tageslicht.
Es ist Sonntag, 2.36. Die vorerst letzte S-Bahn fährt auf Gleis 4 am Ostbahnhof ab. Über der schlafenden Stadt liegt eine dumpfe Stille. Nicht so ein paar hundert Meter weiter im Werksviertel hinter den Gleisen. Zwischen verspiegelten Bürogebäuden und Laden-Containern pulsiert zu dieser Uhrzeit das Leben. Im Schlagergarten wird zu Jürgen Drews und Mickie Krause gegrölt, gleich nebenan, leicht versteckt, geht die Musik im DNA-Club einem anderen, schnelleren, fiebrigen Rhythmus nach. “Das Nachtleben ist für viele wie ein Rückzugsort, ein Pausenknopf von der Arbeit, vom Stress, von den Verpflichtungen. Eine Flucht aus dem Alltag.”, sagt Tobias Werner, der nach Jahren in der Free-Rave-Szene Anfang Dezember den DNA-Club eröffnete.
Gespenst in den Großstädten: Clubsterben
Beim Opening rauschte ein kleines Aufatmen durch das gebeutelte Münchner Nachtleben – endlich wieder wagte ein Clubbetreiber einen neuen Start, statt abzusperren. Nicht nur in der Landeshauptstadt schließen immer mehr Clubs ihre Türen dauerhaft als neue eröffnen. In allen deutschen Großstädten grassiert seit Jahren das Clubsterben. Mehr denn je zuvor. Was braucht es, um auch in Zukunft weiter feiern zu können? Wie wirken Politik und Kommunen der Verarmung des Nachlebens entgegen? Wie muss sich der Stellenwert von Clubs und Nachtleben wandeln?
Hinein in die Welt der Nachtschwärmer:innen. Am DJ-Pult setzt Gregor Tresher in seinem Set zum nächsten Drop an. Die Boxen laufen auf Hochtouren, die Luft ist schweißgebadet, es ist eng, laut, dunkel. Ein ekstatischer Kosmos aus Licht, Sound und vielen jungen Menschen, die voll in der Bewegung zu den Beats, im einzigartigen Moment mit sich selbst und den anderen Feiernden aufgehen.
Drastische Zahlen
Diese Kultur ist akut bedroht. Einer Auswertung des statistischen Bundesamts zufolge schrumpfte die Zahl der Diskotheken und Tanzlokale in den letzten zehn Jahren drastisch. Gab es in Deutschland 2014 noch 1.679 Clubs, waren es 2021 nunmehr 864. Die Pandemie verstärkte diese Entwicklung zusätzlich: Im Herbst 2020 – also noch relativ am Anfang von Covid19 – standen laut dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) 94 Prozent der Clubbetreiber kurz vor der Pleite.
Diesen Prozess in München aufzuhalten, dafür setzt sich Kay Mayer von der Moderation der Nacht (MONA) ein. Seit zwei Jahren vermittelt der “Nachtbürgermeister” in den Konflikten des Nachtlebens. Er vernetzt zwischen den Kulturbetreibenden, der Stadtpolitik und Bezirksausschüssen. Sein Ziel: Eine rücksichtsvolle, inklusive und vor allem intakte Feierkultur in der Stadt. „Wir machen Mediationsangebote und schaffen neue Möglichkeiten für junge Veranstaltende und Kollektive“, erklärt der Freund der Nacht.
Vor allem aber muss er sich um das Reizthema im dichten urbanen Raum kümmern: Den Lärm. “Da ist die Frage: Wie verhält man sich als Stadt, als Stadtgesellschaft?“, erklärt Mayer. Er will das Problem mit dem Management von Lärmschutz, mit guter Planung und einem funktionierenden Konfliktmanagement lösen.
Konflikte zwischen Anwohnern und Clubbetreibern
Tobias Werner, der Besitzer des DNA-Clubs, begrüßt die Arbeit der MONA sehr. Doch er beobachtet, dass der Anwohnerschutz fast immer über die Kultur gestellt wird. Mit dieser Einstellung werde das Clubsterben weiter vorangetrieben. An diesem Punkt müsse ein Umdenken stattfinden.
“Es ist zu pauschal gedacht, dass die Clubbetreiber sich nicht um die Lärmkulisse scheren. Genauso stimmt es nicht, dass Anwohnende immer nur meckern”, sagt Kay Mayer. Sein Lösungsansatz für den Krach um den Lärm: Orte, an denen sich das Nachtleben entfalten kann, und Sparten-Clubs, die spezielle Musikrichtungen bedienen. „Das Potential dafür ist in der Münchner Szene mehr als nur da. Es gibt viele Kollektive, viel Zusammenarbeit, aber auch Konkurrenz und es passiert einfach viel”, preist er die lebendige Szene.
In einem Punkt sind sich Clubbetreiber und Nacht-Moderator einig: Der Stellenwert des Nachtlebens muss sich verändern. Die aktuellen Regierungsfraktionen haben dies erkannt. Im Koalitionsvertrag steht deshalb: “Wir erkennen für Clubs und Live-Musikspielstätten ihren kulturellen Bezug an. Für beides werden wir die Baunutzungsverordnung und die TA Lärm anpassen.”
Verstaubte Vorschriften sorgen für Aufregung
Es sind zwei veraltete Verwaltungsvorschriften, die sich zu Reizbegriffen für die Kulturbetreibenden entwickelt haben. In der Baunutzungsverordnung werden Clubs als Vergnügungsstätten und nicht als Orte der Kultur betrachtet. Damit werden sie mit Bordellen und Spielcasinos gleichgestellt. So sind die Clubs oft aus Bebauungsplänen ausgeschlossen.
Noch nerviger finden die Clubbetreiber die Technische Anleitung Lärm (TA Lärm). Sie regelt eigentlich den Umgang mit Gewerbe- und Industrielärm. Und in diese Kategorie fällt bislang auch der Kulturschall. Der Bundestag will diese Vorschriften erneuern und damit einen großen Fortschritt in der verwaltungstechnischen Anerkennung von Clubs als Kulturstätten erreichen.
Einen Vorschlag für eine zeitgemäße Anpassung der TA Lärm, die einer veränderten gesellschaftlichen Rolle von Clubs gerecht wird, hat die LiveMusikKommission mit der “Kulturschallverordnung” bereits erarbeitet. Sie legt fest, wie Kulturschall in Zukunft gemessen und beurteilt wird. Und sie enthält Empfehlungen, wie Konflikten mit einer genauen Auslegung der Immissionsrichtwerte vorgebeugt werden kann. Der Verband verhandelt gerade mit der Bundesregierung und den Ausschüssen. Aber die Gespräche gehen nur schleppend voran. Viele Kulturtreibende sind deshalb sauer: “Ich kann den Ärger verstehen“, sagt Mayer: „Der Kulturbetrieb braucht endlich Ergebnisse und Umsetzung.“
Ein aktuelles Beispiel aus Leipzig zeigt auf, warum eine schnelle Novellierung der Gesetze zum Nachtleben notwendig ist. Der Techno-Clubs Distillery musste im vergangenen Jahr nach langen juristischen Streitigkeiten einem großangelegten Immobilienprojekt weichen. Vor allem auf Grund der Bestimmungen in der Baunutzungsverordnung konnten sich die Investor*innen vor Gericht durchsetzen. So können die Interessen des Nachtlebens leicht übergangen werden und die Stimme der Kulturschaffenden verhallt schnell, so sehr ihre Beats auch schallen.
Clubs sind keine Vergnügungsstätten
Clubbetreiber Tobias Werner ist es deshalb wichtig, dass Clubs endlich als Kulturstätten anerkannt werden. Ein Blick auf die nächsten Veranstaltungen des DNA-Clubs zeige klar, dass Clubs keine gewerblichen Zwecke erfüllen, sondern mit ihrem kuratierten Programm eindeutig zur Kultursphäre zählen – genauso wie Opern, Theater und Kinos. “Noch viel wichtiger ist es aber, die Bedeutung eines vielfältigen Nachtlebens für die Attraktivität von Städten und die Menschen hervorzuheben,” sagt Tobias Werner. Das Werksviertel entwickelt sich zu einem Hotspot für die Feiernden von Schlager bis Techno. Oft sei sein Club voll und schon in ein paar Tagen beginne der Ticketvorverkauf für das nächste Wochenende. “Es läuft sehr gut, wir sind super zufrieden!”
Im Werksviertel wird trotz aller Probleme weiter gefeiert. Hier geht das Konzept von Kay Mayer auf. Alle können sich voll ausleben, niemand fühlt sich gestört und das mitten in der Stadt. Hier ist der letzte Zug noch lange nicht abgefahren.
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