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Der Weltenbauer

23. Januar 20257 Min. gelesen

In seinen legendären Filmen verband David Lynch Bild und Ton auf surreale Weise. Nun ist er im Alter von 78 Jahren gestorben. Nachruf auf einen Filmregisseur, der eine besondere Beziehung zur Musik pflegte.

Die ersten Töne der „Twin Peaks“-Titelmusik reichen aus, um bei mir Gänsehaut auszulösen. Vermutlich bin ich nicht der einzige Fan der US-Kultserie, den der Anklang der ominösen elektrischen Gitarre und des sanften Klaviers in einen hypnotisierten Zustand der Sehnsucht versetzt. Beim Hören der Musik schießen mir direkt die Bilder in den Kopf, die das sagenumwobene „Twin Peaks“-Universum ausmachen. David Lynch, der Anfang der 90er-Jahre gemeinsam mit Mark Frost die Serie ins Leben rief, wirkte entscheidend an ihrem Soundtrack mit. Die verträumte Atmosphäre, die skurrilen Grooves, die romantischen Höhen und unheilverkündenden Tiefen: Sie alle verkörpern in musikalischer Form die verlockende und rätselhafte Welt, die David Lynch geschaffen hat.

Surrealer Americana und wirkmächtige Symbole

Am 15. Januar ist David Lynch verstorben. Er wurde 78 Jahre alt. Die Ursache seines Todes ist nicht offiziell bekannt, doch erst vor ein paar Jahren erhielt der jahrzehntelangen Raucher Lynch die Diagnose Lungenemphysem. Sein Tod ist erschütternd für seine nächsten Angehörigen, löst aber auch in der Film- und Kunstwelt große Betroffenheit aus. Als Fan seiner Werke kann ich diese Trauer nachempfinden. Denn Lynch hat sich zu einer Symbolfigur entwickelt, die in ihrem Werk das existenziell Böse, Bedrohliche und Faszinierende im ganz gewöhnlichen Alltag verortet. Seine Filme sind romantisch und surreal zugleich. Doch Lynch wird mir nicht nur als Regisseur in Erinnerung bleiben. Er verkörpert ein Künstlerdasein, das über die Liebe zum Film hinausgeht – wie auch seine Wertschätzung für die Musik zeigt.

Lynch wächst nach dem Zweiten Weltkrieg in einer kleineren Stadt in Montana auf. Als junger Erwachsener studiert er an einer privaten Kunsthochschule und beginnt, erste Kurzfilme zu drehen. Seinen Durchbruch erlangt er in den späten 1970ern mit seinem Spielfilmdebüt „Eraserhead“, an dem er zuvor jahrelang verbissen gearbeitet hat. Das groteske Sound-Design des Films zeugt davon, dass bereits in Lynchs Frühwerk Bild und Ton zu einer Einheit verschmelzen: Beklemmender Industrielärm untermalt die verwahrloste Schwarz-Weiß-Szenerie, die sich mit ihren entsetzlichen Bildern geradezu aufdrängt. Das Zusammenspiel aus abstrakter Symbolik und performativer Vertonung erinnert mitunter an eine Sound-Installation.

Später wird Lynch seine erzählerischen Ambitionen weiter ausbauen. Er wird Welten kreieren, die sich wie Labyrinthe vor einem auftun und in ihrem Detailreichtum mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten können. Und doch scheint jedes Element ganz gezielt platziert. Viele seiner Filme verleihen den Vorstädten und ländlichen Regionen der USA eine dunkle Anziehungskraft. Dazu passen auch Lynchs skurrile Charaktere, deren innere Leidenschaften und Abgründe nur in scheinbarem Widerspruch zur idyllischen Fassade stehen. Jedem Gegenstand im Lynch-Universum wohnt potenziell ein Geist inne: Ein Türgriff, ein Holzscheit oder ein blauer Schlüssel sind eigenwillige Wesen mit ihrer ganz konkreten Bedeutung. Und ja, nicht zuletzt die Musik haucht Lynchs Welt immer wieder Leben ein.

Musik ist Teil der Erzählung

Das fängt damit an, dass in seinen Filmen immer wieder Musiker:innen – speziell Sängerinnen – prominent in Erscheinung treten. Eine der Hauptfiguren von „Blue Velvet“ (1984) ist eine junge Sängerin, die in einem Etablissement traditionelle Balladen vorführt. In „Mulholland Drive“ (2001) tritt die Sängerin Rebekah del Rio als Cameo mit einer spanischsprachigen A-Cappella-Interpretation eines Roy-Orbison-Songs auf. Sie wirkt als Teil eines bizarren Ensembles in einem Nachtclub in Los Angeles, in dem alle Performances im Vorhinein aufgenommen sind. Noch bevor sie das herzzerreißend vorgetragene Stück beendet hat, kollabiert die Sängerin plötzlich vor dem burgunderroten Vorhang – sie wird von der Bühne geschleift, doch ihr Gesang läuft auf Band weiter. Die Szene ist visuell beeindruckend und erzählerisch meisterhaft in einen Film eingebaut, der die Leere des Mythos Hollywood demaskiert.

Ganz ähnlich wie in „Mulholland Drive“ laufen auch in „Twin Peaks“ verschiedene narrative Stränge in einem Nachtclub zusammen. Das musikalisch untermalte Nachtleben wird in Lynchs Werken zum Fluchtpunkt seiner vielschichtigen, enigmatischen Erzählung. In der Musik und im Setting, in dem sie stattfindet, finden die verschiedenen Puzzleteile aus Lynchs filmischem Mikrokosmos eine konkrete Gestalt. Und so dient auch der stets wiederkehrende Soundtrack in „Twin Peaks“ als Leitmotiv, durch das sich die idyllische Landschaft, die einzigartigen Charaktere und ihre emotionalen Untiefen bei mir als Zuschauer verfestigen. Zumindest eines wird mir durch David Lynchs Werk sonnenklar: Musik ist nicht bloß Begleitelement von visuellen Darstellungen. Sie ist ein unabdingbarer Bestandteil des filmischen Universums.

Auch David Lynch wusste das. Eben deshalb arbeitete er so eng mit seinem Wahlkomponisten Angelo Badalamenti zusammen. Er produzierte viele der Stücke, die Badalamenti für seine Filme komponiert hatte. Er schrieb außerdem Texte, die die Sängerin Julee Cruise in ihrer romantisch verträumten Manier vortrug. Das Trio aus Lynch, Cruise und Badalamenti ist im Zeitraum von weniger als drei Jahren verstorben. Ihre Kollaborationen aber bleiben unvergessen.

Was bleibt von David Lynch?

David Lynch ist ein Künstler, den niemand je vollständig verstehen wird und der sich doch nie in seiner Vision beirren ließ. Anlässlich seines Todes sagte mein Freund: Es sei schade, dass der Filmemacher in seinem Werk so viele Fragen aufwarf und die Antwort darauf niemals preisgeben wird. Doch vielleicht liegt darin auch ein Trost. Denn Lynchs Fragen sind so verlockend, dass zumindest ich ihnen gerne weiter nachgehen werde. Und mit dieser Suche kann ich nie endgültig abschließen.

Bild: British Film Institute (BFI)

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Felix Meinert - Redaktion

Schon mit fünf Jahren war ich musikalisch begeistert: Damals trat ich mit meiner Fantasieband vor meiner Familie auf, sang (besser: schrie) auf meiner Fantasiesprache und trommelte mit Plastikstöcken unkontrolliert auf meinem Hüpfball herum. Da der ersehnte Durchbruch aber ausblieb, tobe ich mich heute lieber beim Hören und Schreiben aus. Oft feuilletonistisch, gerne nachdenklich bis nörglerisch, stets aber von Herzen schreibe ich über so ziemlich alles zwischen Rock, Pop, Folk, Hip-Hop, Jazz und elektronischer Musik.

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