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„Die Welt ist voller Schönheit“

6. Mai 202510 Min. gelesen

Vor sieben Jahren kam Enji für ihre Musikkarriere nach München. Nun hat die mongolische Jazz-Sängerin ihr drittes Album „Sonor“ veröffentlicht. Im Interview erzählt sie über musikalische Improvisationen, den Reiz des Visuellen und das Leben zwischen zwei Kulturen.

Das Gespräch führte Felix Meinert.

Frequenz: Du bist in der Mongolei geboren und aufgewachsen, seit einigen Jahren lebst du in München. Inwiefern kommen diese beiden Kulturen, die mongolische und die deutsche, auf deinem neuen Album „Sonor“ zum Ausdruck?

Deutschland ist ein großer Teil von mir geworden. Ich habe hier in München meine erste Platte aufgenommen. Meine allererste Erfahrung im Ausland war 2016 in München. Ich hatte eine unglaubliche Zeit hier. Das hat sich ganz natürlich angefühlt, die Leute waren super herzlich. Später kam ich dann her zum Studieren. Seitdem durfte ich auch ein bisschen in die bayerische Kultur eintauchen. Meine musikalische Reise hat hier stattgefunden und auch meine persönliche Entwicklung. Ich war hier am Anfang allein. Es gab viele challenges. Aber daran bin ich gewachsen. Und ich finde auch die deutsche Sprache total schön…

Das sagen nicht so viele Leute… (lacht)

Ja! (lacht) Ich meine es wirklich ernst. Wunderschöne Aussprache! Ich lese auch gerne auf Deutsch und habe einen warmen, positiven Zugang zu der Sprache. Gleichzeitig kann ich die Kultur meiner Heimat nicht verlassen. Das ist mein echtes Ich.
Ich erzähle auf dieser Platte zum erste Mal zwei Geschichten auf Deutsch. Auf einem Stück meiner neuen Platte schreibe ich über einen Jungen auf einem kaputten Fahrrad. Dabei klingt das Wort „kaputt“ nicht so cool wie auf Mongolisch. Es gibt manche Wörter, die nur auf einer Sprache genau die eine Bedeutung treffen. Ich schreibe normalerweise auf Mongolisch.

Das heißt, beide Kulturen verschmelzen in deiner Musik miteinander. Aber es gibt auch kulturelle Konzepte, die sich nicht übersetzen lassen?

Ja. Man kann alles miteinander verschmelzen lassen. Aber manche Gefühle kommen nur in einem bestimmten Wort zum Ausdruck. Auf diesen Gedanken wäre ich nie gekommen, wenn ich für immer in der Mongolei geblieben wäre. Dadurch hat sich eine neue Perspektive geöffnet –

– auf deine Wurzeln?

Ja. Mir ist sehr wichtig, dass meine Songs so ehrlich wie möglich sind. Und die Themen, die am tiefsten in mir drin sind, werden mir erst jetzt bewusst, wo ich nicht mehr dort bin. Ich sehe sie jetzt mit anderen Augen aus der Außenperspektive.

Bild: Charlotte Robin / Alyssia Lou

Welche Gefühle und Erfahrungen aus deiner Kindheit und Jugend kommen auf deinem neuen Album zum Ausdruck?

Von meiner Kindheit spreche ich vor allem auf meinem letzten Album „Ulaan“. Ich hinterfrage auf dem Album meine Identität. Jedes Album spiegelt auch die Zeit wider, in der ich es geschrieben habe. Die neue Platte ist sehr positiv, das hört man auch am Sound. Es geht um Spaß und Fantasie, aber auch um Nostalgie. Ich habe mittlerweile die Tradition, auf jeder Platte ein Volkslied und einen Jazz-Standard zu spielen. Die Auswahl ist diesmal genau richtig, glaube ich. Aber meine Vorstellung von der Musik, wenn ich sie komponiere und aufnehme, ist oft ganz anders als sie beim Hörer ankommt – auch weil die meisten die Sprache nicht verstehen.

Die Musikvideos zu den veröffentlichten Singles wirken sehr minimalistisch: Jemand blättert durch ein Designheft mit Fotos von dir und Satzfetzen dazwischen, wir sehen impressionistische Porträts von dir. Welche Rolle spielt das Visuelle in deiner Kunst?

Das ist eine schöne Frage! Ich bin so privilegiert, den Max Schachtner zu haben. Er ist Mitbegründer von Squama und hat das Design meiner Platte übernommen. Wir beide schätzen es sehr, wenn jedes Detail eines Werks etwas aussagt. Wir beide lieben das Handberührte: Zum Beispiel schreibe ich meine Texte immer mit Kuli in ein Heft. Damit man das sieht und fühlt.
Wir haben für dieses Projekt unterschiedliche kreative Quellen zusammengebracht. Ich wurde auch in London von einer Fotografin begleitet, die den ganzen Tag festgehalten hat. Bei dieser Zusammenarbeit ging es darum, wie sie mich als Künstlerin wahrnimmt. Das ist eine sehr vielseitige Arbeit geworden.

Das heißt, es geht darum, Musik mit verschiedenen Sinnen und aus verschiedenen Perspektiven erlebbar zu machen?

Total, das spielt eine große Rolle. Das Visuelle spricht zusammen mit der Musik. Die Welt ist ja voller Schönheit. Wir können so viele Elemente wie möglich zusammenschmeißen. (lacht)

Die meisten Stücke dieses Albums hast du mit dem Münchner Jazz-Gitarristen Paul Brändle geschrieben, mit dem du bereits auf deinem letzten Album zusammengearbeitet hast. Welche künstlerische Vision eint euch beide?

Er ist ein fantastischer Gitarrist. Und auch sein Geschmack ist sehr inspirierend. Wir sind beide sehr ehrlich. Unser Prozess ist immer gleich auf den Punkt. Durch unsere Zusammenarbeit werden meine Ideen immer weiter angereichert, aber der Kern geht nie verloren. Das spüre ich auch beim Komponieren. Manchmal hat Paul super ungewöhnliche Ideen – aber ich mag Überraschungen.

Ich weiß nicht, ob du deine Musik als Jazz bezeichnen würdest. Inwiefern ist Jazzmusik heute eine Quelle der Innovation?

Das Hauptrezept ist für mich die individuelle Stimme eines Musikers, egal ob Sängerin oder Saxofonist. Es kommt darauf an, wie wir zum Beispiel einen Jazz-Standard interpretieren. Beim Jammen kreiert man immer neue Momente. Im Vergleich zu anderen Genres ist es immer wichtig, was ein Solo aussagt. Und was man aussagen möchte, ist nie eingeschränkt.
Man hört in meiner Musik immer wieder Jazz-Elemente. Meine Musik ist sehr spielerisch. Es gibt viele Stellen, die man beim Liveauftritt improvisieren kann. Ich werde auch viel gefragt, ob meine Musik Jazz oder Volksmusik ist. Ich bin niemandem böse, der sagt, dass ich keinen Jazz mache. Jazz macht einen großen Teil meiner Erfahrung aus – und traditionelle mongolische Musik auch.

Worauf bist du besonders stolz mit Blick auf dein neues Album?

(denkt lange nach) Ich bin stolz auf die Geschichten, die ich erzähle. Ich glaube, ich bin nicht nur Sängerin und Künstlerin, sondern auch storyteller. Und ich bin sehr stolz auf unsere Aufnahme. Wir haben die Platte in nur zwei Tagen aufgenommen. Ich habe alle Musiker außer Paul erst im Studio kennengelernt, und diesen frischen Austausch hört man aus der Aufnahme heraus.

Was hat es mit der Musik gemacht, dass ihr sie in nur zwei Tagen aufgenommen habt?

Wir haben über Weihnachten aufgenommen. Paul und ich haben versucht, möglichst viel vorzubereiten. Aber welche Line der Bassist jetzt spielen soll, haben wir natürlich nicht gesagt. Das ist pure musikalische Sprache, die sich innerhalb von zwei Tagen ganz intensiv entwickelt hat. Das ist genau das, was ich wollte. Ich mag dieses spontane Musizieren.

Titelbild: Charlotte Robin / Alyssia Lou

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Felix Meinert - Redaktion

Schon mit fünf Jahren war ich musikalisch begeistert: Damals trat ich mit meiner Fantasieband vor meiner Familie auf, sang (besser: schrie) auf meiner Fantasiesprache und trommelte mit Plastikstöcken unkontrolliert auf meinem Hüpfball herum. Da der ersehnte Durchbruch aber ausblieb, tobe ich mich heute lieber beim Hören und Schreiben aus. Oft feuilletonistisch, gerne nachdenklich bis nörglerisch, stets aber von Herzen schreibe ich über so ziemlich alles zwischen Rock, Pop, Folk, Hip-Hop, Jazz und elektronischer Musik.

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