Im Gespräch mit der DJane und Künstlerin Polygonia.
Bei Polygonia passiert weit mehr als nur Techno. Die multimediale Künstlerin bewegt sich zwischen DJ-Sets im Berghain oder Blitz und der Vielfalt der Natur. Wie es ist, weltweit zu touren und warum Seesterne faszinierend sind.
Bei Lindsey Wang läuft viel organisch. Mit ihrem multimedialen Kunstprojekt Polygonia produziert sie Musik, macht Visual Arts und fotografiert. Ihre Musik klingt meist experimentell und bewegt sich zwischen Deep Techno, Ambient und Fusion-Jazz. Aus München heraus schaffte sie es in den letzten Jahren mit einem speziellen Technosound, der mit vielen organischen und synthetischen Klängen spielt, auf die europa- und weltweiten Festivals und Clubs. Nun legt sie regelmäßig im Berghain und Tresor in Berlin auf und ist seit 2023 Resident im Münchner Blitz. Gleichzeitig ist die Natur ihr Ausgleich dazu und die zentrale Inspiration für ihre multimediale Kunst. In einer Familie voll klassischer Musik aufgewachsen, entdeckte Lindsey den Techno erst spät für sich.
Im Januar erschien ihre neue EP „Da Nao Tian Gong“. Diese ist eine soundtechnische Neuinterpretation der klassischen chinesischen Legende „Die Reise nach Westen“ um den Affenkönig Sun Wukong.
Wie kam es zur Inspiration für deine neue EP „Da Nao Tian Gong“?
Im Prinzip ist es so, diese chinesische Legende sowie vor allem den gleichnamigen Cartoon „Da Nao Tian Gong“, habe ich in meiner Kindheit, wie wahrscheinlich jedes chinesische Kind aus meiner Generation, ziemlich durchgehend geschaut. Bis heute bin ich davon inspiriert. Einerseits finde ich die Musik dazu sehr spannend, da sie schon sehr traditionell ist und mit chinesischen Perkussionsinstrumenten arbeitet. Auf der anderen Seite fasziniert mich als visuelle Künstlerin der grafische Style der Serie. Es ist sehr bunt, fast schon psychedelisch, voller Fantasie und dynamisch. Gerade diese Dynamik in den Bildern ist für die Zeit, wo diese Serie produziert wurde, Mitte der 1960er, enorm krass. Die EP beschäftigt sich hauptsächlich mit der ersten Phase, in der es um den Affenkönig allein geht. Er ist ein Rabauke, der leicht größenwahnsinnig ist. Es sind diese Attribute von ihm sowie auch seine Waffe, die ich sehr eindrucksvoll finde und wovon ja auch Dragon Ball inspiriert ist.

Gleichzeitig ist für dein Album „Abbilder einer vergessenen Welt“ die Vielfalt der europäischen Wälder die Inspiration gewesen. Wo kam der Impuls dazu?
Also grundsätzlich bin ich sehr inspiriert von der Natur, die uns umgibt und das spiegelt sich in meiner generellen Soundästhetik wider. Ich mag einfach sehr gerne organische Klänge und synthetisiere auch gerne. Gerade in diesem Release habe ich jeden Sound selbst synthetisiert, obwohl das sehr natürlich klingt. Mein Konzept dabei war, dass ich diese Eindrücke in eine eigene Soundsprache übersetze und es trotzdem so natürlich klingen zu lassen, als wäre es ein Abbild von den europäischen Wäldern. Nicht gerade im Sinne von Field Recordings, sondern eher im synästhetischen Sinne.
Was fasziniert dich so an der Natur, dass sie deine zentrale Inspirationsquelle ist?
Ich finde, dass die Natur einfach daherkommt in allen schillernden Farben, Formen und Emotionen. Sie ist gut und böse zu gleich, um es mal in menschlichen Maßstäben zu messen und hat sehr funky Daseinsformen. Zum Beispiel der Seestern oder der Stärling. Ich finde einfach, dass in der Natur bereits so viele Ausführungen des Lebens und auch der Fantasie schon vorhanden sind, dass es für mich persönlich eine unerschöpfliche Quelle ist.
Ist die Natur dann auch eine Art Ausgleich zu deinem bisweilen stressigen Tourleben?
Ja, definitiv, eine Art Rückzug. Ich wohne hier direkt an der Isar am Flaucher und bin in drei Minuten direkt in diesem Naturschutzgebiet und trotzdem nah an der Stadt. Es ist ein wichtiger Kontrast für mich, ganz ohne grüne Umgebung würde ich auf Dauer austrocknen.
Du hast lange mit akustischen Instrumenten gespielt, wie beeinflusst dieser musikalische Hintergrund deine Herangehensweise beim Produzieren?
Das ist ein großes Plus für mein musikalisches Denken. Seit der Kindheit spiele ich verschiedene Instrumente. Bei der Produktion von elektronischer Musik merkt man ganz schnell bei der Synthese, dass da vieles stark miteinander zusammenhängt. Da versteht man schnell, wie Envelopes (Klangform, Modulation, Anm. d. Red.) sich gestalten. Wie ein Ton geformt wird. Ein Zupfen von der Geige oder auf einem Perkussionsinstrument lässt sich da genau übersetzen. Die Parameter heißen vielleicht anders, aber im Prinzip bestehen viele Parallelen. Damit hat man eine vielfältige Denkweise und kann schneller gewollt bestimmte Szenarien erzeugen.
Neben der Musik machst du Visual Arts und fotografierst. Siehst du diese Kunstformen miteinander verbunden oder willst du das strikt trennen?
Ich sehe da eine starke Verbindung. Es ist ein bisschen auch meine Absicht, das so zu sehen und auszuführen. Bis ich mit Polygonia, meinem Kunstprojekt, gestartet habe, habe ich das sehr getrennt gehalten. Nun denke ich sehr synästhetisch und kann bei meiner Arbeit das Musikalische sehr gut in das Visuelle übersetzen. Gerade in der Fotografie, aber auch der visuellen Kunst gibt es viele Parallelen zur Musik: Komposition, Rhythmus, Kontraste, Form, Textur. So habe ich in gewisser Weise eine einheitliche ästhetische Sprache über verschiedene Kunstformen für mich entwickelt.

Seit 2023 bist du nun Resident im Blitz in München. Was bedeutet der Club für dich?
Das Blitz hat sich in den letzten Jahren für mich persönlich sehr gewandelt. Am Anfang war ich sehr wenig dort, bin wenig ausgegangen und dann kam Corona. Dadurch, dass ich dann angefangen habe Techno zu produzieren, wurde das Blitz natürlich interessanter für mich. Jetzt ist es für mich einer der wichtigsten Orte in München. Seitdem ich dort Resident bin, kenne ich das ganze Personal und den Owner sehr gut. Dadurch sind wir extrem krass zusammengewachsen. Ich bin großer Fan der Soundanlage, dem gesamten Klima im Club und der Booking-Style ist einfach richtig gut.
Du meinst, du hast erst während der Corona-Pandemie angefangen, Techno zu produzieren und dich wirklich für diese Musikrichtung zu interessieren. Was war dafür die Initialzündung?
Meine Familie kommt komplett aus der klassischen Musik. So richtig Rock und Pop habe ich erst durch Radio und MTV kennengelernt. Da fand ich vor allem die Beats sehr cool. Ich hab mich dann da früh voll reingesteigert, habe Playlists gesetzt, alles sortiert und korrekt kategorisiert, wie das DJs auch so machen. Ich habe angefangen viel zu diggen. Schließlich habe ich dann UKF entdeckt, also diese Dubstep-, Drum’n’Bass-Szene in Großbritannien, und das war so der erste wirkliche Schritt in die elektronische Musik. Techno kam aber wirklich erst spät dazu. Bei einem Festival bei Berlin, dem Freqs of Nature, habe ich erstmals auch Techno gehört, der mir gefallen hat, weil ich bis dahin in München eher Melodic Techno oder Minimal gehört hatte, das hat sich dann dort geändert.
Du hast ein breites stilistisches Œuvre. Mal klingt deine Musik mehr nach Ambient, fast schon Jazz, wie auf deinem letzten Album, mal mehr nach Downtempo oder gar Deep Techno. Wo siehst du darin ein verbindendes Element?
Das verbindende Element ist meistens der organische Klang in meiner Musik. Auf eine Art menschlich, wenn man das so sagen kann, denn meine Produktion sind eher weniger Industrial- oder Hard Techno. Es klingt dagegen fast schon verspielt bei mir. Trotzdem versuche ich das immer wieder von einer anderen Perspektive zu beleuchten und vielleicht auch mal was ganz was anderes auszuprobieren, da ich mich sonst künstlerisch nicht weiter entwickle.
Würdest du sagen mit deinem spezielleren Sound war es schwieriger, dich in der Szene zu etablieren?
Für die Art des Sounds, den ich mache, ist es sehr gut gelaufen, da ich es einfach innerhalb von wenigen Jahren geschafft habe, international zu touren und mich ausschließlich von der Musik zu ernähren. Insofern bin ich sehr glücklich, da es grundsätzlich nicht so einfach und selbstverständlich ist, sich in so kurzer Zeit in dieser Nische zu etablieren. Allerdings fallen den Hörern und Hörerinnen innovative Ideen schnell auf und da erreicht man dann schnell auch über den Techno hinaus die Leute.
Deine Livesets werden oft als hypnotisch, fast schon trancehaft beschrieben. Herrscht da in deinem Publikum eine einzigartige Stimmung? Wie nimmst du das wahr?
Bei den Live-Sets bin ich sehr konzentriert und kann das gar nicht so sehr wahrnehmen. Vom Feedback her ist es aber oft so, dass sich die Leute sehr eingesaugt gefühlt haben und vor allem, dass meine Sets sehr auf das Sounddesign fokussiert sind und weniger auf die klassischen Drops. Daher sind diese eine sehr spannende Geschichte für die Ohren.
Du planst gerade eine Tour in die USA. Wie ist das für dich, weltweit auf Tour zu sein? Manchmal stressig? Wie gehst du damit um?
Also ich war nie so stark der Reisetyp und fand es auch eher stressig zu reisen. Jetzt ist es natürlich so, dass das mit meinem Beruf direkt einhergeht. Da finde ich es nun sehr spannend, lehrreich und inspirierend die unterschiedlichen Kulturkreise und ihre Mentalitäten kennenzulernen. Denn ich bin ja nicht nur als Tourist dort, sondern habe sehr viel mit den Leuten vor Ort zu tun. Ich kann meine Sprachen üben, das ist ein sehr schöner Nebeneffekt. Auf der anderen Seite muss ich sagen, ich bin extrem gerne zu Hause. Ich hab drei Tiere, wohne mit meinem Freund zusammen und habe sehr viele Pflanzen. Also es ist so eine Hass-Liebe.
Die Musiker:innen und DJs sind ein fahrendes Volk. Hier- und dorthin wird zu Konzerten, Acts und Sets gefahren und geflogen. Deine Branche ist nicht sehr klimafreundlich. Achtest du mehr darauf, wie du unterwegs bist? Gerade auch deshalb, da die Natur deine größte Inspiration ist?
Ja. Auf jeden Fall. Trotzdem muss man der Wahrheit als Artist, der weltweit tourt, ins Gesicht schauen, dass es niemals ganz möglich sein wird, klimaneutral zu reisen. Ich versuche möglichst viele Strecken mit dem Zug zu machen, aber wenn es über 8 Stunden dauert und mehrere Umstiege mit dabei sind, wird es irgendwann halt unrealistisch. Auch weil die Deutsche Bahn so unglaublich unzuverlässig ist. Da muss einfach viel mehr getan werden, bessere Verbindungen, günstigere Preise. Momentan sind Flüge billiger als viele Zugfahrten bei Fernstrecken. Das kann’s nicht sein, genauso wie mit den Streiks, das ist eine Katastrophe für uns als Touring-Artists.
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