Treibende Gitarrenakkorde, ekstatische Pop-Rock-Refrains: Mit Spielwitz und Leidenschaft verarbeitet die Londoner Band destruktive Schönheitsideale, die eigene Trauer und vieles mehr.
Der Refrain von „Summer Bodies“ ist gerade zum dritten Mal erklungen, da tritt der kollektive Lieblingsmoment der Band ein: Der Reihe nach fangen die vier Mitglieder von Fightmilk unkontrolliert zu schreien an. Vielleicht bricht in diesem Moment die ganze Wut und Verzweiflung los, die sich beim mehr oder weniger beabsichtigten Konsumieren all der toxischen Werbung im Internet angestaut hat: „Jedes Mal, wenn ich eine Social-Media-App öffne, werde ich mit einer Flut an sexistischen Botschaften bombardiert“, erläutert Sängerin Lily Rae die Inspiration des Songs. „Ich sollte stärker sein, aber auch dünner, größer, aber nicht größer als ein Mann, sollte glattere Haut haben, aber nicht auffällig geschminkt sein.“ Da kann man schon mal das Schreien anfangen.
Sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, ist vielleicht eine der größten Stärken von Fightmilk. Humor und Spielwitz gehören zum Wesenskern von „No Souvenirs“, dem dritten Album der Londoner:innen. Das Eröffnungsstück „Summer Bodies“ ist dafür ein blendendes Beispiel. Ein ohrwurmverdächtiger Bass-Loop verbindet die einzelnen Songteile miteinander, während Schlagzeug und Gitarren immer wieder aufs Neue explodieren. Währenddessen arbeitet sich Lily Rae textlich an einer Schönheitskultur ab, die mangelndes Selbstwertgefühl zu ihrem Geschäftsmodell gemacht hat: „Summer bodies are made when you hate yourself.“
Maßgeschneiderter Sound für die Bühne
Die Produktion dieses Albums ist weitgehend darauf ausgelegt, die Explosivität von Fightmilks Sound zu betonen. Stücke wie „Back from Tour“ und „Banger #7“ zeichnen sich durch treibende Power-Akkorde, dicke Gitarrenschichten, bissige Soli, volle Snare-Sounds und schlagkräftigen Hintergrundgesang aus. Es ist ein musikalisches Rezept, das sich bestens für Liveauftritte eignet.
Das liegt auch am Entstehungsprozess von „No Souvenirs“ während der Corona-Pandemie. „Man könnte meinen, die Lockdown-Zeit hätte die idealen Bedingungen dafür geschaffen, um Musik zu machen“, erzählt Lily Rae. „Doch für uns hatte sie den gegenteiligen Effekt: Wir alle litten an Schreibblockade.“ Sie selbst hatte oft Ideenschnipsel, erzählt sie, doch ohne die Anwesenheit der anderen Bandmitglieder sei es schwer gewesen, diese in ganze Stücke zu verwandeln. Also habe sie sich bei den Kompositionen weniger auf die Details der Musik fokussiert und sei zu den „Basics“ zurückgekehrt. Das Ergebnis ist ein stärker Rock-orientiertes Album als „Contender“, der Vorgänger von 2021.
Trauerbewältigung und Weiterentwicklung
Dafür rücken auf diesem Projekt die Texte stärker in den Vordergrund. Auch das titelgebende „No Souvenirs“ zeugt von Raes ausdauerndem und diszipliniertem Schreibprozess. Zehn Jahre lang arbeitete sie an diesem Stück; so lange ist nun auch der Tod eines engen Freundes her, der den Song inspirierte. Rae erzählt, sie habe jahrelang Erinnerungen an diesen Menschen gehortet. Doch daraus sei eine Art Zwang geworden, der sie daran gehindert habe, die Trauer zu verarbeiten: „Als der Song schließlich zustande kam, handelte er weniger vom Schmerz selbst als davon, die Dinge, die uns Schmerzen bereiten, loszulassen.“
Vielleicht vermisst man deshalb auf „No Souvenirs“ die lyrischen Details, die einen so persönlichen Song meist auszeichnen. Briefe, E-Mails, alte Fotos: All diese handfesten Erinnerungen an einen geliebten Menschen bilden irgendwann einen emotionalen Käfig. Sie loslassen zu können, bedeutet für Lily Rae, ein Stück Freiheit vom Schmerz zurückzuerlangen. Keine Souvenirs: „Es ist ein Mantra, um mich vorwärts zu bewegen.“
Bild: Carl Farrugia
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