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Gordon Lightfoots „The Wreck Of The Edmund Fitzgerald“

30. November 20237 Min. gelesen

Der Song des kanadischen Folksängers von 1976 ist liedgewordener Mikrokosmos der Geschichte einer ganzen Region.

Foto: Discogs

„The legend lives on, from the Chippewa on down / of the big lake they called Gitchigumi” sind die einleitenden Worte des Songs “The Wreck Of The Edmund Fitzgerald” aus der Feder des kanadischen Folksängers Gordon Lightfoot. In einem kalt verhallenden Echo folgen sie auf die klagenden ersten Schläge einer Steel Guitar und Lightfoots 12-String. Das Intro wirkt auf den:die Hörer:in wie teleportierend: Auf einmal ist man dort, an den Stränden des Lake Superior, von den amerikanischen Ureinwohnenden einst gitchi-gami, großer See, genannt.

The Great Lakes

Ein Satellitenbild zeigt die ganzen Ausmaße. Foto: Wikimedia

Die Region der Great Lakes ist einer der Orte dieser Welt, der in seiner Einzigartigkeit fasziniert – auf sich allein gestellt einige der größten Binnengewässer des Planeten, zusammen die größte Gruppierung von Süßwasserseen der Welt mit einer Wasseroberfläche in den Ausmaßen des Vereinigten Königreichs. An den Ufern der Seen sammeln sich einige der größten Städte Nordamerikas und zahlreiche industrielle Zentren: Toronto, Chicago, Detroit, Buffalo, Cleveland und Gary.

Diese schiere Unendlichkeit bedeutet unter anderem eines: Schifffahrt auf den Great Lakes passiert in einem industriellen Umfang, mit 200 bis 300 Metern langen Frachtern, die die Bodenschätze des amerikanischen Nordens von ihren Förderstätten zu den tausenden Fabriken der umliegenden Arbeiterstädte hieven. Teils durch raue Seen, durch langsam anschwellende, riesige Wellen und die eisigen, unbarmherzigen Winterstürme, die der November mit sich bringt.

The Wreck Of The Edmund Fitzgerald

Kaum vorstellbar, aber die Stürme der Seen, insbesondere auf dem Lake Superior, können so massiv werden, dass sie Schiffe versenken. Auch die ganz großen. Mit 222 Metern war die SS Edmund Fitzgerald das größte Schiff der Great Lakes, als sie 1958 vom Stapel lief. Die Edmund Fitzgerald bekam Spitznamen wie „Pride of the american side“ oder „Titanic of the Great Lakes“: ein Spitzname, der am 10. November 1975 zur Verheißung werden sollte. Die Edmund Fitzgerald geriet auf dem Weg von Superior nach Detroit zusammen mit einem anderen Frachter in einen Wintersturm. Schneefall, Windstärken von über 100 kmh, vereinzelte, über 10 Meter hohe Wellen brachten das Schiff in Seenot. Um 19:10 verschwand, mit den Worten „We are holding our own, going along like an old shoe” die SS Edmund Fitzgerald von der Oberfläche. 29 Seemänner verloren ihr Leben, die gesamte Besatzung.

Die Schifffahrt hatte auf den Greatlakes lange Zeit große Bedeutung. Foto: Wikimedia.

Bereits einige Wochen später nahm der kanadische Folksänger Gordon Lightfoot, eine Größe unter den Folk-Heroes der 60er, gewürdigt durch The Band, The Guess Who, oder Bob Dylan, und bekannt durch Songs wie „Sundown“ und „If You Could Read My Mind“, einen Song auf. Nicht losgelassen von den Zeitungsberichten über den verlorenen Frachter, verfasste er einen Song, dessen emotional erzählte Geschichte des Schiffwracks nicht nur den Untergegangenen ein denkwürdiges Mahnmal setzte. Musikalisch einfach und gleichzeitig einnehmend, braucht es beim Hören kaum noch viel Vorstellungskraft, um die Respekt einflößende Anziehungskraft der Großen Seen, die frostigen Novemberwinde, die Erhabenheit der Edmund Fitzgerald und die Tragik des Wracks in sich zu spüren. Das Lied transzendiert jedoch heute, 48 Jahre später, nach dem Tod Lightfoots dieses Jahr, die Geschichte des gesunkenen Schiffs. Es steht sinnbildlich für die Geschichte vieler Untergänge.

The Legend Lives On

Das Wrack war das letzte eines großen Frachters in den Great Lakes. Seitdem hat sich die Anzahl der großen Frachter mehr als halbiert. Bereits zur Zeit des Wracks war der Boom der um die Great Lakes gelegenen Industrien vorbei. Städte wie Detroit oder Gary, deren Identität auf der Schichtarbeit in den Stahl- und Autofabriken aufgebaut wurden, waren schon Opfer der Flucht in die Vorstadt, der ökonomischen Flaute, der sozialen Spannungen, die Arbeits- und Perspektivlosigkeit mit sich brachten, geworden. Noch heute sind sie ein Schatten ihrer Selbst, Gary zum Beispiel hat eine der höchsten Mordraten der USA. So klingt in der Elegie des großen Stahlfrachters auch ein Trauerlied über den Ausverkauf der Produktionsstätten in Schwellenländer mit geringeren Lohnstandards mit. Ein Abgesang auf eine Bevölkerung, die nach einer Identität sucht und seit dem Verlust ihrer Lebensgrundlage nicht ganz weiß, wohin mit sich.

Es ist gleichzeitig Gordon Lightfoots letzter großer Hit. Er selbst sagt, der Song wäre künstlerisch das Beste gewesen, was er je hervorgebracht habe. Er hat wohl Recht. Ob er damals wusste, wie lange seine Ballade nachhallen würde, wie umfassend man ihr Bedeutung beimessen kann, wie oft sie in den alteingesessenen Kneipen der an den Great Lakes liegenden Städte von alternden Seemännern mit einer verdrückten Träne im Auge verlangt wird, ist wohl fraglich. Lightfoot hat es auf jeden Fall geschafft, dass man noch heute von ihm für 6 Minuten auf den gitchi-gami versetzt wird. Auf das mächtige Schiff, Wind in den Haaren, aufgebrochen mit der Hoffnung auf schnelle Ankunft. Mit dem Wissen, dass es die letzte Fahrt sein wird.

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