Absurder Witz trifft brachiale Ehrlichkeit: Der Rapper aus Krefeld liefert ein weiteres filmreifes Album.
Die Nacht kann tückisch sein. Manchmal macht sie uns glauben, der nächste Tag komme nie. Wenn alles schläft, kriechen verdrängte Erinnerungen wieder aus den hintersten Ecken unseres Gehirns hervor. Dann beschwört auch Grim104 die Dämonen seiner Jugend. Eine Jugend, die er schweigend mit Freunden am Stromkasten verbrachte, als ihm sein eigenes Spiegelbild fremd erschien. Wie gut, dass der Krefelder Rapper nun ein Album veröffentlicht hat, das ihn und uns bis zum „Ende der Nacht“ begleitet.
Lebendige Bilder
Auf diesen zehn Songs wagt Grim104, bürgerlich Moritz Wilken, zum wiederholten Male einen Spagat: Einerseits blickt er in die tiefsten Abgründe seiner Erfahrungen als Mensch. Andererseits erlaubt ihm die karikatureske Darstellung der Gesellschaft, in der er lebt, eine Flucht ins Absurde. Schonungslose Ehrlichkeit trifft auf überspitzte Ironie.
Wilkens verzweifelter, erratischer Vortrag und der kalte Sound der Produktion ergänzen die rohe lyrische Darstellung. „Sterne“ prescht mit grellem, bedrohlichem Beat voran, während Grim104 von jugendlicher Sprachlosigkeit und bedeutungslosem Sex rappt. Er schreibt so detailreich, dass man die beschriebene Jugendfreundschaft vor dem eigenen inneren Auge Stück für Stück zerfallen sieht. Wilkens Texte wirken filmisch und schnipselhaft. Auch „Stadtfuchs“ klingt mit seinem explosiven Rave-Beat so zersplittert und schnelllebig wie die Realität der Großstadt. Auf dem bewegenden „Stirb nicht heute“ setzt Grim104 die Fragmente zu einem angsteinflößenden Bild zusammen: Er erhält einen Anruf aus der Heimat, dass jemand im Sterben liege, und fährt zurück; er harrt in seinem alten Kinderzimmer aus, sieht Erinnerungen vor sich vorbeiziehen. All seine Existenzangst kocht in seinen flehenden Rufen über.
Den Finger in die Wunde legen
Weitaus lockerer fallen Wilkens kulturkritische Stücke aus. Sein Blick nach außen mag von Frust und Verbitterung geprägt sein, doch mündet in bissigen, provokanten Humor. „Nepo Baby“ prangert mit einer Menge scharfem Witz die Vetternwirtschaft im Musikbusiness an. Wilken lässt kein gutes Haar an einer Indie-Szene, deren Mitglieder gerne trotz finanzieller Privilegierung über die Härten des Lebens klagen.
Belangloser wird es, wenn Grim104 „das glamouröse Leben eines Underground-MCs“ porträtiert und die schwierige Frage stellt: Was reimt sich auf „Butter Chicken“? Das ist wohl der Moment auf diesem Album, an dem der K.I.Z.-Vergleich, den sich Wilken schon öfter anhören musste, gerechtfertigt erscheint. Interessant wird dieser Song für einen kurzen Moment, als Wilken den Druck eingesteht, seine persönlichen Leiden und Konflikte in seiner Musik zu einem Produkt verwerten zu müssen. Zumindest das verbindet ihn wohl mit den Nepo Babys.
„Ende der Nacht“ mag weniger kohärent sein als Grim104s letzte Solo-Projekte. Dieser nächtliche Trip führt uns in Wilkens seelische Tiefen und driftet gelegentlich in seichtere Gefilde ab. Diese Abwechslung tut nicht schlecht, da Wilkens Vortrag nicht an Dringlichkeit einbüßt und seine Texte meist lebendig und unterhaltsam bleiben. Auch die Produktion auf diesem Album ist vom verzerrten House-Beat bis zum jazzigen Loop astrein. Doch am stärksten ist Grim104 nach wie vor, wenn er den Finger in die Wunde legt. Auch in die eigene.
Foto: Hotel Rocco
Was denkst du?
Kommentare anzeigen / Kommentar hinterlassen