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Hyper, Hyper, Hyperpop: Autotune, Minecraft und Ich

25. Juni 20246 Min. gelesen

Am gleichen Junitag erscheinen zwei Hyperpop-Alben, die sich in Sachen Tanzfreude und innovativer Soundkulisse die Stirn bieten. Eines von ihnen wird bereits als Pop-Album des Jahres bezeichnet, das andere ist eher noch ein Geheimtipp. Aber Charli xcx und 2hollis zeigen beide, warum das Genre immer noch fasziniert.

Im Winter 2011 wurde ich 12 Jahre alt und spielte am Computer meiner Eltern zum ersten Mal Minecraft. Selbst mit der Unterstützung meines besten Freundes wusste ich oft nicht weiter: YouTube-Tutorials versprachen Abhilfe und fortan glitten täglich diverse Pixel über meinen Bildschirm: Von Minecraft ging es zu anderen Let’s Plays, dann zu Reviews, Katzenvideos und Fail Compilations. Seitdem wurde ich in mehr als 10 Jahren in Internetkultur und Memes gebadet. 

Im Winter 2017 stand das Abitur kurz vor der Tür und während ich mir noch Gedanken um meine Zukunft machte, erschien „Pop 2“ von Charli xcx. Heute gefeiert als einer der großen Vertreter des Hyperpop-Genres, stellte es mir damals neue Künstler:innen und Sounds vor. Das alles klang so exzessiv, so aufgeladen und abgedreht. Pop auf Steroiden, mit voller Kraft, Autotune, Filtern und Internetreferenzen. Musikalisch ein Kulturschock für jemanden, der damals damit angab, nur die „gute”, alte Musik der 80er zu hören (natürlich nur die Hits, die im Radio liefen). 

Digitale Musik für digitale Zeiten?  

Exzessiv und aufreibend: So klang Hyperpop eine gute Weile für mich und es dauerte etwas, bis ich mich daran gewöhnte. Das Genre mit seinen schnellen Sounds und kurzen Tracks fand bald ein Zuhause in den digitalen Gefilden von TikTok. Hyperpops rasanter Mix und digitale Verzerrungen passen schließlich perfekt in eine App, in der man im Sekundentakt von einem Video zum nächsten wandert. Auch wenn dem Genre über die Jahre immer wieder der Tod prophezeit wird, bringt Charli xcx es mit „brat” erneut in den Vordergrund, inszeniert sich zwischen 2010er Pop und ihrem bekannten Hyperpop-Sound. 

Während das Feuilleton das Album bereits in den Himmel lobte, ging der Release an mir vorbei. Stattdessen wanderte am gleichen Tag ein anderes Album in meine Musikvorschläge: „boy“ von 2hollis. 

Ich kannte bereits seine Single „crush“, die Wochen zuvor auf Dauerschleife in meinen Ohren lief. Der sich ewig steigernde Beat, die gefilterte Stimme und die Teenager-Thematik von Liebe und Crushes. Das war eins zu eins Hyperpop, wie er mir 2017 schon gefiel. Umso überraschter war ich als das Album mit einem sechs minütigen Intro begann. Auf „you once said my name for the first time” singt 2hollis über Anfänge und Enden. Seine Stimme ist seicht, nur wenig gefiltert, die Silben langgezogen und der Song versprüht zunächst eine Ruhe, die dem Exzess des Hyperpops entgegensteht.

Foto: Harley Weir/Atlantic Records

Er zeigt, was dieses Album so großartig macht: 2hollis experimentiert, lässt verschiedene Sounds für sich allein stehen, springt zwischen Tonleitern und Emotionen umher, lässt meine Lautsprecher explodieren und schmeichelt dann wieder meinem Trommelfell. Songs wie „lie“ zeigen sein Können: Über einen Beat, der an alte Videospiele erinnert, spricht er über den Schmerz der Lügen. Nicht immer braucht das Lyrics: „3“ ist ein zweieinhalb minütiger EDM-Hit, der zur Ekstase aufbaut und stimmig in „light“ endet. 

Simple Megastars

Es sind bekannte Themen über Liebe, Herzschmerz und die eigene Identität. Sie zeigen eine Verletzlichkeit, die auch Charli xcx bekannt ist. Zwar ist sie auf ihre typische Art oft lustig und „bratty”. Bei Liedern wie „Club classics“ oder „360“ möchte man aufstehen und einfach nur tanzen und „Rewind“ bietet pure Charli: spaßig, verspielt und eine kleine Nostalgiebombe. Doch dazwischen schieben sich ruhige Nummern wie „So I“ oder „I think about it all the time“. Über 10 Jahre nach ihrem ersten Auftritt macht sich der Star, der nicht immer einer sein möchte, Gedanken um ihren „commercial success“. Auch ihr Alter spielt eine Rolle, sie denkt über das Kinderkriegen nach.

I think the apple’s rotten right to the core

From all the things passed down

From all the apples coming before

I split the apple down symmetrical lines

And what I find is kinda scary

Charli xcx “Apple”

Dazwischen schieben sich Anspielungen an frühere Lieder. (Selbst-)Referenzialität ist IN! So auch bei 2hollis, man achte nur einmal darauf, wie oft er Minecraft-Sounds samplet. Und wie für das Internet typisch wird natürlich fleißig gemixt und neu aufgelegt: Auf verschiedenen Versionen von „360“ oder „Von Dutch“ versammelt Charli Musiker:innen wie Pokémon: Yung Lean, Robyn, Lorde oder A.G. Cook. Für jeden ist etwas dabei. 

Zwei Alben, ein Star und ein Newcomer, fanden sich im Juni in meiner Dauerrotation und erinnerten mich an meine Liebe zu einem Musikgenre, das mich seit Jahren begleitet. Eingepackt in harsche Sounds und warme Momente zeigen sie, warum ich mich damals als Teenager zum Hyperpop hingezogen fühlte: Themen, die mich bewegten, wurden in eine frische Fassade verpackt, auf die mein internetabhängiges Gehirn sofort ansprang. 7 Jahre später kribbeln mir dabei immer noch Herz und Ohren.

Titelbild: Harley Weir

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Christopher Bertusch - Redaktion

Wünschte er würde Klassik mögen, hört aber lieber Hyperpop-Remixe von Hits der 2000-2010er Jahre, mit passenden 240p-Musikvideos. Mag daneben alles, was ordentlich fetzt, aber gerne auch zum Weinen bringt.

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