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„Ich habe mir mit dem Rampenlicht immer schwergetan”

14. Oktober 20259 Min. gelesen

Die Produzentin und Multi-Instrumentalistin Melina Duterte ist viel hinter den Kulissen aktiv. Nun hat die als Jay Som bekannte Indie-Rock-Musikerin ihr viertes Album veröffentlicht. Ein paar Tage vor der Veröffentlichung erzählt Duterte vom Musikmachen abseits der Bühne, von Los Angeles unter Trump und davon, wie witzig Lucy Dacus ist.

Das Gespräch führte Felix Meinert auf Englisch.

Frequenz: In ein paar Tagen veröffentlichst du dein erstes Album seit sechs Jahren. Es trägt den Titel „Belong“. Wie geht es dir damit?

Duterte: Ich fühl mich ziemlich nervös. Die Woche der Veröffentlichung ist immer ein bisschen verrückt, finde ich. Diesmal besonders, weil das letzte Mal schon so lang her ist. Ich bin jetzt älter und habe das Gefühl, ich bin mir meiner selbst stärker bewusst geworden.

Frequenz: Wie haben dich die letzten sechs Jahre als Künstlerin geprägt?

Duterte: Diese Jahre sind unglaublich gewesen. Ich habe so viel erlebt. Ich habe mit vielen Musiker:innen zusammengearbeitet, durfte mit Boygenius touren, konnte reisen und gleichzeitig ein Privatleben zu Hause in Los Angeles haben. Die Pandemiezeit war schmerzhaft und traumatisch – aber ich konnte auch zur Ruhe kommen, nachdem ich sehr viel auf Tour gewesen war. Diese Pause zu haben, war für meine Gesundheit extrem wichtig.

Frequenz: War diese Zeit für dich auch eine Möglichkeit zu wachsen?

Duterte: Ja. Ich bin jetzt 31. Vieles fügt sich mit der Zeit – und gleichzeitig musste ich mit dem Erwachsenwerden viele Dinge über mich selbst konfrontieren.

Frequenz: Viele Songs auf dem neuen Album scheinen von der Notwendigkeit zu handeln, sich weiterzuentwickeln: von unausgewogenen Beziehungen, von der Person, die man selbst einmal war.

Duterte: Ich schreibe einfach über das, was ich in dem Moment fühle. Mir ist oft gar nicht klar, dass ich etwas verarbeiten muss, bis ich es aufgeschrieben habe. Mein Leben ist immer im Wandel. Als Musikerin erfahre ich ständige Bewegung: auf Tour, in meinen Arbeitsbeziehungen. Aber auch viele meiner langjährigen platonischen Beziehungen sind mit dem Erwachsenwerden zerfallen. Ich habe das Gefühl, in deinen Zwanzigern fühlst du dich ein Stück weit unbesiegbar: Immer ist die Welt schuld und nie du selbst. In deinen Dreißigern lernst du, dir selbst den Spiegel vorzuhalten.

Frequenz: Du hast über deine intensive Arbeit hinter den Kulissen gesprochen. Du hast für verschiedene Künstler:innen produziert, gemixt, Instrumente gespielt, Texte geschrieben. Hast du das Rampenlicht vermisst?

Duterte: Tatsächlich nicht. Ich mache Musik wegen der Musik selbst. Es ist toll, wenn Leute das Rampenlicht genießen – ich selbst habe mir damit immer schwergetan. Ich finde es zwar auch irritierend, wenn Künstler:innen sagen: Schau mich nicht an! Aber das tu ich manchmal selbst. Ich hasse es, dass ich mich mit meiner Musik so stark offenbaren muss. Das ist vor allem als Frau schwer, denn als Mann wirst du etwas ernster genommen. Ich liebe es, im Hintergrund zu arbeiten. Es fühlt sich gut an, die unterstützende Cheerleaderin für andere Musiker:innen zu sein.

Frequenz: Laut einem Rolling Stone-Interview ist es so: Wenn man, zumindest in den USA, in einem Café sitzt und einen coolen Indie-Rock-Song hört, ist er wahrscheinlich von dir produziert. Wenn ich das nächste Mal in einem artsy Café sitze: Wie kann ich einen Jay-Som-produzierten Song erkennen?

Duterte: (lacht) Ich glaube, das hat Lucy Dacus (Anm. d. Red.: US-amerikanische Singer-Songwriterin, Mitglied der Band Boygenius) gesagt. Sie hat das den „Jay-Som-Effekt“ genannt: Wenn du in der Öffentlichkeit einen Song hörst, den du magst, hab womöglich ich ihn produziert oder daran mitgewirkt. Ich fand das sehr witzig. Tatsächlich saß ich schon ein paar Mal in Cafés und hab damit gerechnet, dass gleich ein Song von mir kommt – und dann war das so. Wahrscheinlich bin im Spotify-Algorithmus für „Indie“ oder so…

Frequenz: Ich finde, Lucy Dacus schreibt mit sehr viel Humor. Hat sie auch als Person so viel Humor?

Duterte: Ja! Sie ist extrem witzig und schlagfertig. Aber sie ist auch eine sehr liebe Person. Bei Auftritten verbringt sie immer Zeit mit dir, sie ist neugierig und erinnert sich an Dinge. Ich finde es rar, mit jemandem von ihrem Kaliber befreundet zu sein.

Frequenz: Und welchen Ansatz verfolgst du mit deiner Produktion?

Duterte: In der Zusammenarbeit mit anderen muss man eine Art Chamäleon sein. Wenn ich mit dir zusammenarbeite, will ich nicht unbedingt, dass du klingst wie ich. Das ist ein kollaborativer Prozess: Es geht vor allem um deinen Sound. Ich selbst war relativ kontrollierend im Produktionsprozess von „Belong“: Ich habe das Album gemeinsam mit vielen anderen aufgenommen, aber zum Ende hin waren es nur ich und mein Co-Produzent Joao Gonzalez. Dem Album fehlte etwas, und das war mein eigener Sound. Ich glaube, manche Künstler:innen vermissen das, wenn sie mit anderen Produzent:innen zusammenarbeiten. Manchmal höre ich ein Album und denke mir: Das klingt einfach nach diesem einen Produzenten. Ich will keine Namen nennen…

Frequenz: (lacht) Ich kann mir vorstellen, um wen es geht…

Duterte: Ja, du hörst einen Synthesizer und weißt sofort: Das ist er! Und vielleicht schafft er ja etwas wirklich Besonderes, sodass alle mit ihm zusammenarbeiten wollen. Das ist cool, aber dieser Ansatz ist womöglich etwas beschränkt.

Frequenz: Beim Hören deines Albums habe ich einige 90er- und 2000er-Einflüsse herausgehört. Hat diese Zeit um die Jahrtausendwende deine Musik inspiriert?

Duterte: Oh, ja! In den frühen 2000ern war ich ein Kind. Ich habe immer in Kalifornien gelebt und war deshalb umgeben von Pop Punk, Alternative und Popmusik. Dieses Umfeld hat mich beeinflusst, selbst Musikerin zu werden. Und ja, ich liebe die Musik der 90er: Cocteau Twins, die Cranberries, My Bloody Valentine. Und ich war auch inspiriert vom Aufstieg der Musik im Internet. Die 2000er und frühen 2010er waren eine großartige Zeit, um neue und auch alte Musik zu entdecken. Ich bin mit den Yeah Yeah Yeahs und Bloc Party aufgewachsen.

Frequenz: Wie hat sich der politische Umbruch unter Trump auf die kreative Szene in den USA ausgewirkt – besonders in Los Angeles?

Duterte: In den USA und in L.A. zu leben, ist dieses Jahr echt verrückt gewesen. Es begann mit den Bränden im Januar und ging mit den ICE-Razzien weiter, die völlig außer Kontrolle und ekelhaft sind. Es läuft etwas sehr schief in unserem Land, das ist greifbar. Meine Eltern sind Immigranten, genauso wie viele meiner Nachbarn. Und sie haben, solange ich denken kann, Rassismus erfahren. Sie sind in dieses Land gezogen für ein besseres Leben und haben dafür verdammt hart gearbeitet – und nun will man sie verhaften?!

Frequenz: Was kann Musik in politisch harten Zeiten bewirken?

Duterte: Wenn die reichsten und einflussreichsten Musiker:innen auf Missstände aufmerksam machen könnten und sich zu dem äußern, was falsch läuft, wäre viel gewonnen. Sie haben eine Plattform. Wir alle haben als Musiker:innen eine Plattform.

Bild: Daniel Topete

Felix Meinert - Redaktion

Schon mit fünf Jahren war ich musikalisch begeistert: Damals trat ich mit meiner Fantasieband vor meiner Familie auf, sang (besser: schrie) auf meiner Fantasiesprache und trommelte mit Plastikstöcken unkontrolliert auf meinem Hüpfball herum. Da der ersehnte Durchbruch aber ausblieb, tobe ich mich heute lieber beim Hören und Schreiben aus. Oft feuilletonistisch, gerne nachdenklich bis nörglerisch, stets aber von Herzen schreibe ich über so ziemlich alles zwischen Rock, Pop, Folk, Hip-Hop, Jazz und elektronischer Musik.

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