Die Gender Pay Gap ist kein Geheimnis mehr. Änderung setzt kaum oder langsam ein. Aber wie steht es um Selbstbestimmung und Gleichberechtigung in der Musikbranche, mehr noch in der männerdominierten Welt des Rap? Ein Text über die Selbstinszenierung deutscher Musikerinnen, die damit verbundene Reproduktion problematischer Ideale und der Kunst, nicht allen gefallen zu müssen.
Ikkimel bringt ihr neues Album raus, stürmt damit die Charts und die deutschen Feuilletons, und ihre Texte werden als feministische Kampfansage interpretiert. Nach dem Start ihrer Tour wird Shirin David, die 2023 mit dem Song „Lächel Doch Mal“ als die feministische Rapperin schlechthin galt, derzeit für ihren in vielerlei Hinsicht anti-feministischen Song „Bauch, Beine, Po“ kritisiert. Aber wenn wir mal ganz ehrlich sind können Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, doch nie ganz etwas richtig machen. Die Erwartungen an deutsche Künstlerinnen sind hoch und vielseitig. Zwischen unrealistischen Idealen, Trends und dem ein oder anderen Iced Matcha Latte bleibt kaum noch Zeit, es allen recht zu machen und das muss doch auch gar nicht sein. Oder?

„Iced Matcha Latte, zu spät beim Pilates“, jede:r weiß, wie der Song weitergeht und hat die Melodie im Kopf. Dass jedoch der Ohrwurm, den wir alle im Sommer 2024 (wohl oder übel) hatten, auch nach dem Album-Release Mitte Februar von Shirin Davids „Schlau aber blond“ immer noch solche Wellen schlagen würde, hat wohl niemand geahnt. Viele ihrer Fans schreiben auf Social Media, dass das neue Album gar nichts mehr mit Feminismus zu tun und die Rapperin eine anti-feministische Kehrtwende seit dem letzten Album „Bitches brauchen Rap“ (2023) hingelegt habe. Aber kann man das so pauschal sagen?
Klar ist, dass Shirin während ihrer Karriere als Musikerin aufgrund von widersprüchlichen Aussagen und problematischen Werbedeals schon den ein oder anderen Shitstorm abbekommen hat. Aber für die Rapperin gilt natürlich auch ihre selbst auferlegte Devise im Song „Lieben wir“: „Wie handelt man ein‘n Shitstorm? Shake it off wie der Taylor-Swift-Song“, denn selten reagiert sie auf derartige Vorwürfe. Ebenso klar ist, dass Aussagen wie „Ich will doch nur ‚Frau von‘ sein“, nach dem Album „Bitches brauchen Rap“, das nur so vor feministischen Statements strotzt, überraschend kommen. Auch der Song „It Girl“, der den sogenannten Clean-Girl-Trend aufgreift und ein unrealistisches Frauenbild promotet, kommt nach Lyrics wie „Bitch, ich bin keine Housewife“ unerwartet.
Die fast schon kindlichen, diminutiven Reime wie „Gymie“ oder „Champagnie“, steuern zusätzlich zu dieser Wahrnehmung bei. Damit macht sich die Kunstfigur Shirin gewissermaßen selbst klein und spielt die Rolle einer „Wifey“ perfekt ausgeklügelt. Ein weiterer Vorteil dieser Kindsreime ist, dass man so fast jedes beliebige Wort ersetzen könnte, man muss nur ein infantiles „i“ dranhängen und fertig ist der reine Reim. Das Ganze sieht dann zum Beispiel so aus: „Zum Frühstück ein‘n Champagnie bei Bottegie Venetie“ oder „Geh ins Gymmie, werde skinny“. Perfekt dazu passt dann auch Shirins irgendwie verniedlichte Aussprache und der Klang ihrer Stimme.
Laut Shirin soll „Schlau aber blond“ genau diesen drastischen Kontrast darstellen, denn sie selbst würde viele Dinge heutzutage lockerer sehen und sich nicht mehr so viel aufregen. Die Künstlerin habe bemerkt, dass sie schneller an ihr Ziel komme, wenn sie sich dumm stelle, à la Daniela Katzenberger. So nutzt sie die Erwartungen anderer zu ihrem Vorteil, rappt ironisch darüber und verdient damit sogar noch Geld. Für sie ist das dann eine Win-Win-Situation. So far, so good.

Problematisch wird es aber dann, wenn männliche Features in den Songs beispielsweise behaupten, dass Frauen, beziehungsweise „It-Girls“, mit „einem klitzekleinen Plan und einer Menge Fantasie“ Deals verhandeln würden. Das klingt ganz danach, als würden attraktive Frauen nicht ernst genommen und ihre Erfolge und Leistungen lediglich auf ihr Aussehen zurückgeführt. Was, das ist ja skandalös! Müsste es eigentlich sein – ist es aber in unserer Gesellschaft nicht. Als attraktiv geltenden Frauen ihr Können abzusprechen, ist kein neues Phänomen in unserer Gesellschaft und diese Annahme wird aufgrund von Songs wie „It Girl“ auch noch immer reproduziert. Der Song ist geprägt vom Male Gaze, dem männlichen Blick, der jeder:m von uns auferlegt wurde und transportiert genau mit dieser Perspektive und den Lyrics ein realitätsfernes Idealbild von und für (oder eher gegen) Frauen.
Im Gegensatz dazu wird Ikkimel gerade in jeglichen Feuilletons als provokante und feministische Künstlerin betitelt, was ja erst einmal eher positiv und weniger verurteilend klingt, obwohl auch sie sich an den Konventionen des Male Gaze bedient. Was macht dann ihre Texte so provokant und progressiv?
Ikkimel, die eigentlich Melina Strauß aus Berlin ist, macht in ihren Songs keinen Hehl daraus, dass sie das Patriarchat und die damit verbundenen Strukturen in unserer Gesellschaft nicht unbedingt befürwortet. In ihren Texten geht es viel mehr um eine ironische und überspitzte Weltsicht, in der Frauen nicht nur gleichberechtigt sind, sondern auch gerne mal die Männer unterdrücken. Hier sind Zeilen wie „Schnauze halten, Leine an, Schatz, jetzt sind die Weiber dran, hör auf’s Frauchen“ und „Pfui Teufel, mach Platz jetzt“, vermischt mit Berliner Clubtoiletten-Flair und kinky Hundeanspielungen keine Seltenheit. Und eins ist sicher: Ikkimel weiß, wie man(n) provoziert wird.
Für ihre Hunde-Referenzen ist die Rapperin bekannt, denn meist gehen die einher mit dem Vergleich zu Männern. Ikkimels Lines sind plakativ, was sie aber nicht weniger glaubwürdig machen muss. Zeilen wie „Ein Mann bleibt ein Mann und ein Hund bleibt ein Hund“ (da ist sie wieder, die Hundereferenz) oder „Dumm fickt gut, ich bin dumm wie Stroh“ zeigen, dass Ikkimel sich selbst und diese überspitzten Aussagen nicht allzu ernst nimmt und deshalb tropfen ihre Texte nur so vor ironischen Inhalten. Zwar greift sie hier dasselbe Klischee auf wie Shirin David, doch viele ihrer Fans erkennen sofort die mitschwingende Selbstironie.
Dass die Künstlerin einen Kombi-Bachelorabschluss in Deutscher Philologie, Sozial- und Kulturanthropologie hat, reibt sie den Hörer:innen ganz nebenbei in ihren atzigen, Hyper-Pop Songs unter die Nase: „Baby, hab’ ’nen Bachelor und der war sogar mies gut / Ist mir nicht ma’ schwergefallen, jetzt tanz’ ich nackt in Videos“.
Das Plakative und Überzogene wirkt in ihren Songs gerade deshalb umso authentischer. Aber auch Ikkimel spielt mit dem Male Gaze und repräsentiert quasi all das, was die Gesellschaft als normschön betrachtet. Dass sie sich dessen bewusst ist, zeigt sie zum Beispiel in ihrem Song „Keta und Krawall“: „Titten sind prall und mein Arsch ist rund“ oder „Ich bin das Komplettpaket, einfach Traumfrau“. Zu wissen, welches Privileg man hat, ist ein guter Anfang – und in der Öffentlichkeit stehen bedeutet noch lange keine Rechenschaftspflicht für alles. Trotzdem wird genau das immer wieder von Frauen in der Öffentlichkeit erwartet. Während männliche Rapper sich dauernd über ihr Aussehen oder ihre Luxusgüter profilieren, wird dasselbe bei Frauen als „arrogant“ oder „zickig“ abgestempelt.
Über diese Unterschiede sollte man sich bewusst werden, denn im Endeffekt geht es darum, solche Texte und die Ideale, die darin reproduziert werden, auch mal kritisch zu hinterfragen. Polarisierende Debatten und scharfe Verurteilungen tragen wenig dazu bei, Künstler:innen und ihre Werke wirklich zu verstehen, da die Thematiken meist zu oberflächlich behandelt werden. Auch hier geht es nicht darum, die Shirin David und Ikkimel miteinander zu vergleichen und das eine feministische Vorbild zu küren. Klar ist, dass man nicht immer allen gefallen kann und das sollte auch nicht das Ziel sein. Vielmehr sollten wir als Gesellschaft, sowie Frauen untereinander, aufhören, Frauen gegeneinander aufzuhetzen und zu verurteilen. Ganz nach dem Motto Shirin Davids auf ihrem Track „Ich darf das“: „Stelle keine Frau in den Schatten, damit ich schein’“. Der Fokus sollte eher auf den Folgen der Repräsentation von Stereotypen, Idealen und unrealistischen Körperbildern liegen, die die beiden Künstlerinnen – wenn auch selbstironisch – reproduzieren. Genau das gilt es nämlich kritisch zu hinterfragen. Das bedeutet nicht, dass man die Musik nicht mehr hören sollte – vielmehr sollten auch die Texte und der darin transportierte Sinn eines künstlerischen Werkes reflektiert werden.
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