Die Musik- und Veranstaltungsbranche hat einen Ruf als Klimakiller. Doch verschiedene Projekte und Entwicklungen zeigen: Es gibt auch Fortschritte beim ökologischen Umbau.
Im November 2019 kündigte die Band Coldplay an, vorerst nicht mehr zu touren. Die britischen Weltstars wollten so lange auf Live-Auftritte verzichten, bis sie diese nachhaltiger gestalten können. Es liegen zwar keine konkreten Daten zu Coldplay vor: Doch die gemeinnützige Organisationen Julie’s Bicycle schätzt, dass Live-Musik allein in Großbritannien einen jährlichen Ausstoß von 405.000 Tonnen CO2 verursacht. Das klimaverträgliche Jahresbudget pro Person liegt bei unter einer Tonne.
Dass Bands wie Coldplay den Handlungsbedarf in der Veranstaltungsbranche erkannt haben, ist ein starkes Zeichen. Inzwischen sind die Briten wieder auf Tournee und konnten laut eigenen Angaben ihren CO2-Ausstoß um rund die Hälfte verringern. Aber Künstler:innen eines kleineren Kalibers können es sich meist nicht leisten, ihre Tour abzusagen oder die Ticketpreise so stark zu erhöhen, dass sie Nachhaltigkeitsmaßnahmen finanzieren können. Wie also kann der ökologische Umbau der Musik- und Veranstaltungsbranche aussehen?
Anreize für Nachhaltigkeit
Mit dieser Frage beschäftigt sich Dr.-Ing. Birte Jung. Sie arbeitet als freiberufliche Nachhaltigkeitsberaterin und Transformationsmanagerin mit Kulturbetrieben und Veranstalter:innen zusammen. In der Regel berechnet sie mithilfe einer Klimabilanz den Verbrauch und die Einsparungspotenziale ihrer Kund:innen. „Basierend darauf erstelle ich meist in enger Zusammenarbeit mit meinen Kunden einen individuellen Nachhaltigkeitsplan“, beschreibt Jung. „Dieser Plan enthält konkrete Maßnahmen, Ziele und Zeitpläne.“ Indem sie Informationen bereitstellt oder Workshops anbietet, unterstützt sie die Betriebe bei der Umsetzung dieses Plans. Zuletzt bewertet sie gemeinsam mit ihren Kund:innen, wie erfolgreich die getroffenen Maßnahmen waren.

Jung nimmt wahr, dass das ökologische Bewusstsein in der Branche in den letzten Jahren zugenommen hat: „Immer mehr Veranstaltungsstätten und Betreiber:innen erkennen den Wert umweltverträglicher Veranstaltungen.“ Energie einzusparen, um die Stromkosten zu verringern, sei ein wichtiger Anreiz. Dennoch mangele es häufig an der Umsetzung: Einige Betriebe konzentrierten sich zu stark auf einen einzigen Nachhaltigkeitsaspekt oder seien nur an Greenwashing interessiert. Vor allem fehle den Betrieben häufig eine langfristige Strategie, um ihre Ziele umzusetzen und anzupassen.
Birte Jung berät Kulturbetriebe als Expertin für Nachhaltigkeit. Foto: Matthias Barone
Verhaltenskodex für Clubs und Festivals
Doch es gibt greifbare Fortschritte in der Branche: In Berlin, Hamburg und Bremen haben rund 30 Clubs einen „Code of Conduct“ unterschrieben, in Köln sollen weitere folgen. Darin bekennen sich die unterzeichnenden Clubs etwa zur Nutzung von Ökostrom, zu energieeffizientem Kühlen und Heizen, zur Verwendung von Mehrweggeschirr und zur Wassereinsparung. Ihren Gästen legen die Clubs nahe, mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Nahverkehr anzureisen.
Den Verhaltenskodex haben auch verschiedene Festivals unterschrieben, darunter das Augsburger Modular Festival. Dieses gewann 2022 den Bayerischen Popkulturpreis für „Ökologische Nachhaltigkeit“. Der Stadtjugendring Augsburg (SJR), Veranstalter des Festivals, gebe mit der Erstellung eines CO2-Rechners seine Erkenntnisse kostenlos weiter und leiste einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit, so die Jury. Denn tatsächlich gibt es in Deutschland bisher keine systematische Erhebung von klimabezogenen Daten in der Kulturbranche.
Besser lokal?
Der SJR gliedert in seinem Rechner den Ausstoß in fünf Sparten: Verpflegung, Mobilität, Energiebetrieb, Beschaffung und Digitales, Übernachtungen. Demnach war 2022 die Verpflegung für den größten Teil des CO2-Ausstoßes auf dem Festival verantwortlich, nämlich für 148 Tonnen. Deshalb stieg das Modular in diesem Jahr auf ein fleischfreies Menü um: So erhoffte es sich, 12 Tonnen CO2 einzusparen. Unsere Nachfrage, ob das Festival dieses Ziel erreichen konnte, blieb unbeantwortet.
Auch die An- und Abreise verursachte einen erheblichen Ausstoß. Dieser ging zu einem großen Teil auf Besucher:innen zurück, die mit dem PKW unterwegs waren. Deshalb hat der SJR zusammen mit den Stadtwerken Augsburg ein Mobilitätskonzept entwickelt, um die Anreise per öffentlichen Nahverkehr zu fördern. So war es 2023 gar nicht möglich, auf dem Festivalgelände zu parken. Dass die auftretenden Künstler:innen nur für 10% des Ausstoßes im Bereich Mobilität verantwortlich waren, könnte daran liegen, dass das Modular ein fast ausschließlich deutsches Line-Up aufstellt – und so durch kürzere Reisestrecken Emissionen einspart.
Weist das auch auf eine zukunftsfähige Alternative für den einzelnen Musikfan hin: Lieber Konzerte vor Ort besuchen statt dafür zu verreisen, lokale Bands statt Weltstars unterstützen? Birte Jung sieht in einer solchen Beschränkung mehrere Vorteile: „Dies fördert lokale Künstler:innen und reduziert den persönlichen CO2-Fußabdruck, der insbesondere durch Flug- und Autoverkehr entsteht.“
„Der Kultursektor kann Menschen sensibilisieren“
Es gibt also vielversprechende Entwicklungen und Projekte für die grüne Transformation der Branche. Was von der Politik bisher fehlt, sind ökologische Mindeststandards über Einzelprojekte hinaus. Doch in den Führungsebenen der Musik- und Veranstaltungsverbände ist das Thema angekommen: So hat der Europäische Verband der Veranstaltungs-Centren (EVVC) einen Plan entwickelt, damit alle 650 Veranstaltungsstätten, die er repräsentiert, bis 2040 klimaneutral werden. Auch ein Blick in diesen Plan zeigt: Der ökologische Umbau lässt sich nur durch Zusammenarbeit stemmen; zwischen Verbänden, Politik, Betrieben, Künstler:innen und Fans.
Birte Jung zeigt sich zuversichtlich, dass Kultur ebendiesen Zusammenhalt fördern kann. Dass eine Band ihre Konzerttournee nachhaltig umgestaltet oder Clubs sich zu einem Verhaltenskodex bekennen, soll zeigen: Die Branche kann nicht nur Klimakiller sein, sondern auch Vorbild. „Wegen seiner großen Reichweite hat der Kultursektor das Potenzial, Menschen für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Er kann Nachhaltigkeit nicht nur thematisieren, sondern sie auch greifbar und erlebbar gestalten“, sagt sie. „Diese Chance gilt es zu nutzen.“
Titelfoto: unsplash – David Dvořáček
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