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John Coltrane – A Love Supreme (1965)

6. Februar 20256 Min. gelesen

Vor 60 Jahren schuf Tenorsaxofonist John Coltrane mit seiner Band einen Klassiker des spirituellen Jazz: „A Love Supreme“ ist ein musikalisch virtuoser Ausdruck tiefen Glaubens und bemerkenswerter Willenskraft.

Angeblich ist die bloße Entstehung von „A Love Supreme“ einer göttlichen Offenbarung zu verdanken. Acht Jahre vor der Veröffentlichung dieses Jazz-Klassikers, im Jahr 1957, steht es nicht gut um John Coltrane. Der Berufsmusiker ist kränklich und geschwächt von seinem Alkohol- und Heroinmissbrauch, zudem ist er pleite. Denn nachdem er einmal sichtlich betrunken zu einem Auftritt erschienen ist, hat ihn Miles Davis aus seiner Band rausgeworfen. Der Tenorsaxofonist steht kurz vor dem Scheitern. Doch dann, so schreibt es Coltrane im Covertext von „A Love Supreme“, erfährt er ein spirituelles Erwachen: Durch die Gnade Gottes eröffnet sich ihm die Vision eines „reicheren, volleren und produktiveren Lebens“. Er schafft es, clean zu werden und widmet sich mit voller Kraft der Musik. In den nächsten Jahren wird er ein Werk schaffen, das im Jazz nahezu unübertroffen bleibt.

Meditationen und Improvisationen

Coltranes Kronjuwel ist „A Love Supreme”. Das Album ist vor wenigen Tagen 60 Jahre alt geworden, noch heute löst es aufgrund seiner musikalischen Virtuosität und emotionalen Tiefe große Bewunderung aus. In einer einzigen Sitzung aufgenommen, versprüht die Musik auf diesem Album eine unmittelbare Energie, sie trieft vor meditativer Anstrengung und spiritueller Ekstase. Es ist, als exerziere Coltrane mit seinen Bandkollegen einen Akt der inneren Reinigung.

In vier Kapitel aufgeteilt, folgt „A Love Supreme“ John Coltrane auf einer spirituellen Reise vom Glaubensbekenntnis zur Erfüllung. Den Auftakt bildet die Anerkennung Gottes auf „Pt. I – Acknowledgement“, musikalisch zur Sprache gebracht durch die erwartungsvollen Cymbal-Klänge von Elvin Jones am Schlagzeug. Dann zupft Jimmy Garrison am Kontrabass die Melodie des titelgebenden Mantras, das Coltrane später am Saxofon variieren und in hypnotisierender Gospel-Manier skandieren wird: „A-love su-preme / A-love su-preme“.

Von Beginn an zeigt sich der starke Fokus auf Improvisation, der jedem Bandmitglied seinen ganz eigenen Spielraum überlässt. „Pt. II – Resolution“ prescht stärker vorwärts als jedes andere Stück auf der Platte und strahlt dabei einen eleganten Swing-Charme aus. Nicht nur Coltranes Saxofon-Motiv treibt den Groove voran, auch Pianist McCoy Tyner klingt bei seinem Solo abgeklärt und souverän. Diese Qualität kommt auch auf „Pt. III – Pursuance“ zum Ausdruck, wo die Klaviernoten sanft auf einen niederprasseln. Währenddessen wirbelt Jones mit seiner polyrhythmischen Perkussion einen Sturm auf, der einen unaufhörlich mitzureißen droht. Vor allem dieses Stück deutet auf Coltranes Hang zum Free Jazz voraus, den er ein Jahr später auf dem Album „Ascension“ in Fülle ausleben würde.

Musikalische Weiterentwicklung

Die fließende Struktur, die in manchen Momenten dieses Albums hervortritt, unterscheidet „A Love Supreme“ von vielen Vorgängeralben Coltranes. Er löst sich hier langsam, aber sicher vom bluesigen Groove des Hard Bop ebenso wie von der weicheren und delikaten Gemächlichkeit des Cool Jazz. Stattdessen läutet dieses Album eine Ära ein, in der der Jazz zunehmend die Grenzen konventioneller Rhythmen austestet – und mit seiner Beliebtheit im Mainstream bricht. So unterscheidet sich diese Platte auch von Miles Davis‘ Cool-Jazz-Meisterwerk „Kind of Blue“ von 1959, auf der auch Coltrane zu hören ist. „Kind of Blue“ bringt einen zum Schwingen, „A Love Supreme“ zum Beben.

So verlangt einem auch das Ende von Coltranes spiritueller Reise emotional einiges ab. Im Schlusskapitel „Pt. IV – Psalm“ trägt er wortlos ein Gedicht vor, eine Lobpreisung Gottes, der er allein mit seinem Saxofon-Spiel eine rhythmische und erzählerische Form gibt. Dunkle Klavierakkorde, spärlicher Bass und polternde Perkussion begleiten ihn atmosphärisch. Es ist eine Annäherung an den Herrn, ein stilles Gebet, mit welchem sich Coltrane vollständig hingibt.

In der Zeit unmittelbar nach diesem Album begibt sich Coltrane in neue künstlerische Gefilde. Er nähert sich fernöstlicher und afrikanischer Musik an, um seiner inneren Suche Ausdruck zu verleihen. Doch bereits im Jahr 1967, zweieinhalb Jahre nach „A Love Supreme“, stirbt John Coltrane an Leberkrebs. Er wird gerade einmal 40 Jahre alt.

In der letzten Phase seines kurzen Lebens ist es Coltrane jedoch gelungen, ein inspirierendes Werk zu kreieren. „A Love Supreme“ stellt den Gipfel seiner Kreativität dar und verkörpert wie wenige andere Jazz-Alben eine Katharsis. Ob es nun göttliche Eingebung war, dass sich Coltrane zu diesem Werk durchringen konnte: Er selbst lässt keinen Zweifel daran, dass er fest daran glaubt.

Bild: Herb Snitzer / Universal

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Felix Meinert - Redaktion

Schon mit fünf Jahren war ich musikalisch begeistert: Damals trat ich mit meiner Fantasieband vor meiner Familie auf, sang (besser: schrie) auf meiner Fantasiesprache und trommelte mit Plastikstöcken unkontrolliert auf meinem Hüpfball herum. Da der ersehnte Durchbruch aber ausblieb, tobe ich mich heute lieber beim Hören und Schreiben aus. Oft feuilletonistisch, gerne nachdenklich bis nörglerisch, stets aber von Herzen schreibe ich über so ziemlich alles zwischen Rock, Pop, Folk, Hip-Hop, Jazz und elektronischer Musik.

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