Die Jazzpianistin aus Leipzig wird wiederentdeckt. Über eine faszinierende Ausnahmeerscheinung, die am Höhepunkt ihrer Karriere in der New Yorker Jazz-Szene das Vertrauen in sich selbst verlor und fast vergessen wurde.
Von Balthasar Zehetmair
So kunstvoll, intellektuell und einfühlsam die Jazzmusik immer wirkt, es ist ein knallhartes Pflaster, auf dem sich zu etablieren und Anerkennung zu finden, viel Talent, Glück und vor allem Selbstvertrauen braucht. Gerade in der Musikszene New Yorks Mitte der 1950er Jahre. Mittendrin zwischen den afro-amerikanischen Giganten der Szene taucht plötzlich die Pianistin Jutta Hipp auf. Jung, weiß, weiblich, aus dem fernen Deutschland – in vieler Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung.
Vom Tegernsee in die USA
Früh in ihrem Leben fand Jutta Hipp ihre Leidenschaft im Jazz. 1925 geboren und am Klavier aufgewachsen, sind Billie Holiday und Count Basie während der NS-Zeit ihre heimlichen Vorbilder. Sommer 1945, Kriegsende, Leipzig liegt in Trümmern und in Ostdeutschland halten für kurze Zeit die Amerikaner Einzug und damit auch die Jazz-Clubs. Die junge Jutta Hipp ergreift diese Chance und bringt die ausgemergelten Soldaten am Klavier mit leichtem und schwungvollem Swing wieder zum ausgelassenen Tanzen. Kurz darauf wird Sachsen zur Sowjetischen Besatzungszone. Mit den Russen verschwindet der Jazz aus Leipzig und die junge Pianistin findet sich in München neu zurecht. Sie spielt in Cocktailbars, im Zirkus und auch mal in amerikanischen Offiziersclubs am Tegernsee. So gut, dass sie bald darauf entdeckt wird. Von Leonard Feather, einem Musikkritiker mit engen Verbindungen zum renommierten Blue Note Label.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Jutta Hipp bereits Star-Status in Deutschland und Europa, nahm mit ihrem Quintett im Tonstudio in Frankfurt auf und tourte den ganzen Kontinent. Aber was bedeutet das schon in den USA als “Europe’s First Lady in Jazz” betitelt zu werden? Nicht viel. Zwischen Hochhäusern und Kolossen an Saxophon oder Trompete ist Jutta Hipp auf der anderen Seite des Atlantik in New York eine kleine Nummer, ein Geheimtipp, der fürs Erste vor allem das Publikum im Jazzclub Hickory House in der 52nd Street beglückt.
Ankommen in der New Yorker Jazz-Szene
Die Aura der Stadt sowie das gelegentliche Zusammenspiel mit Erroll Garner, John Coltrane oder Charles Mingus, den zentralen Akteuren der florierenden Jazz-Szene auf Manhattan Island, lassen ihren Spielstil wesentliche Züge des Cool Jazz annehmen – leicht, perkussiv, gedankenverloren. Und so entsteht kurz darauf, 1957, mit dem Saxophonisten Zoot Sims eine Platte.
Das Album kombiniert die zarten Elemente des Cool-Jazz mit dem harten Bop und klingt so sehr erfrischend leicht, nicht zu verträumt und mit einem gewissen Zug im Klang. Jutta Hipp ist am Peak ihrer Karriere, eine sehr gute Platte beim berühmten Blue-Note Label – nach der noch zwei weitere Live-Platten folgen sollten – so kann es weitergehen. Doch genau an diesem Punkt bricht die Pianistin ein, fühlt sich unwohl und ertränkt ihre Ängste, ihr quälendes Lampenfieber, mehr und mehr im Glas. Sie verliert das Vertrauen in sich selbst und damit die Lust am Jazz. Nach ein paar weiteren Auftritten im Hickory House kehrt die damals 33-Jährige dem Klavier endgültig den Rücken. Ihre Kreativität verlagert sich in Malerei und Fotografie, während sie als Näherin arbeitet und – bis zu ihrem Tod 2003 – in einem kleinen Appartement in Queens lebt.
Rückzug vom Klavier und den Clubs
Dem Jazz und den New Yorker Clubs bleibt Jutta Hipp verbunden, wird aber nie wieder vor Publikum Klavier spielen. Hier blieb wahrscheinlich viel Potenzial im Verborgenen und sicher ist davon auszugehen, dass You-ta, wie ein Journalist der New York Times die Aussprache ihres Vornamens einst beschrieb, noch einige hochklassige Platten hervorgebracht hätte. Doch vielleicht ist es auch manchmal besser am Höhepunkt aufzuhören, so bleibt sie als wunderbare Musikerin in Erinnerungen, die noch so einige andere künstlerische Facetten in ihrer Person vereinte.
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