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Leere Worte

11. Januar 202410 Min. gelesen

Wie Spotify mit der Reform seines Vergütungssystems seine eigenen Grundsätze untergräbt – und das Musikgeschäft noch prekärer macht.

Es sind große Worte, die sich Spotify auf die Fahnen schreibt: „Diversity, equity, inclusion and belonging.“ Mit diesen Werten wirbt der Streaming-Dienst auf seiner Webseite. Glaubt man der Selbstbeschreibung des unangefochtenen Marktführers, will dieser vor allem eines erreichen: eine Kultur der Inklusion etablieren, in der alle Musikschaffenden gerecht entlohnt werden und so die Ressourcen haben, ihre Kreativität voll zu entfalten.

Doch wie passt dieser Grundsatz mit den Reformen zusammen, die Spotify zu Beginn des Jahres eingeführt hat? Das Unternehmen schreibt seit Jahren rote Zahlen und hat in der Folge erhebliche Stellenkürzungen angekündigt: Ein gutes Sechstel aller Jobs will Spotify streichen. Außerdem hat die Plattform seine Abogebühr von 9,99 auf 10,99 Euro im Monat erhöht. 

Nutzt Spotify etwa die daraus entstehenden Mehreinnahmen zur Förderung seiner Ziele Inklusion und Gleichheit? Urteilt man nach einer weiteren zentralen Reform – nämlich der des Vergütungsmodells –, erscheint das höchst fragwürdig: Denn ab sofort verdienen Interpret:innen mit Titeln, die im Jahr weniger als 1000 Streams erhalten, kein Geld mehr. Bisher gab es pro Klick durchschnittlich 0,3 Cent für die Künstlerin. Die Millionenbeträge, die Spotify durch das neue Modell schätzungsweise einsparen wird, sollen nun denjenigen zugutekommen, deren Titel mehr als 1000 Streams im Jahr generieren.

Musikschaffende erhalten einen Bruchteil des Geldes

Mit dieser Reform verschärft Spotify die Folgen eines Modells, von dem ohnehin nur ein bestimmter, privilegierter Strang an Musiker:innen profitiert: dem „Pro-Rata-Modell“. Bei diesem System wird ein Titel nicht nach Streams bezahlt, sondern nach Marktanteil. Kommt ein Titel in einem Land auf 2 Prozent aller Streams, erhält der Rechteinhaber des Songs 2 Prozent der Ausschüttungen für den entsprechenden Zeitraum. Der Rechteinhaber, in aller Regel das Label, verteilt dann je nach Vertrag einen Teil dieser 2 Prozent an die Künstlerin. Von den 10,99 Euro, die Nutzer:innen im Monat zahlen, fließt ein Großteil an die Labels.

Bei den Musiker:innen kommt nur ein Bruchteil des Geldes an. Es bedarf millionenfacher Streams, um mit diesem Modell nennenswert etwas zu verdienen. Eine weitere Folge: Es profitieren Genres und Musiker:innen mit kurzen Songs. Lange Stücke können seltener geklickt werden. Und weil ein Stück erst dann bezahlt wird, wenn es länger als 30 Sekunden gehört wurde, versuchen viele Musikschaffende, schon in den ersten Sekunden möglichst hohe Aufmerksamkeit zu generieren.

Es droht die Verdrängung kleinerer Künstler:innen

Mit dem neuen Modell verteilt Spotify nun nach oben um. Die prekäre Lage kleinerer Künstler:innen und die Zwänge der Aufmerksamkeitsökonomie dürften infolgedessen weiter zunehmen. Zwar argumentiert das Unternehmen, von der Reform würden jene Künstler:innen profitieren, die am stärksten von Streaming-Einkünften abhängig sind: also Professionelle. Doch Musikschaffenden, die erst am Anfang einer Karriere stehen oder sich außerhalb des Mainstreams bewegen, versperrt Spotify nun die Tür. Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates, fasst es gegenüber dem Deutschlandfunk so zusammen: „Was vermeintlich in der Nische sitzt, kann auch nicht entdeckt werden.“

Auch der unabhängige Singer-Songwriter Gregor Wessely alias Greyshadow empfindet die Reform als Ungerechtigkeit: „Für jeden, der sich überlegt, ein Projekt zu starten, ist das ein Schlag ins Gesicht“, sagt der Wiener Musiker. „Denn es ist von vornherein klar, dass du damit kein Geld verdienen kannst.“ 

Seine Grundsätze Inklusion und Zugehörigkeit stärkt Spotify nach dieser Einschätzung in keiner Weise. Die angepriesene Diversität in seinem Angebot wird Spotifys Reform zwar nicht einschränken, insofern Musiker:innen keine rentable Alternative zum Marktführer finden – nur will Spotify für diese Diversität nicht zahlen.

Bleibt noch der Grundsatz equity, zu Deutsch Billigkeit. Nach folgender Definition ist Spotifys neues Vergütungssystem mit diesem Wert kaum vereinbar: „Die gerechte und verhältnismäßige Behandlung aller, sodass allen die Möglichkeiten, Systeme und Ressourcen zustehen, um ihre beste Arbeit zu vollbringen.“ Die Definition stammt von Spotifys Webseite.

Illustration: Lin Lindner

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Felix Meinert - Redaktion

Schon mit fünf Jahren war ich musikalisch begeistert: Damals trat ich mit meiner Fantasieband vor meiner Familie auf, sang (besser: schrie) auf meiner Fantasiesprache und trommelte mit Plastikstöcken unkontrolliert auf meinem Hüpfball herum. Da der ersehnte Durchbruch aber ausblieb, tobe ich mich heute lieber beim Hören und Schreiben aus. Oft feuilletonistisch, gerne nachdenklich bis nörglerisch, stets aber von Herzen schreibe ich über so ziemlich alles zwischen Rock, Pop, Folk, Hip-Hop, Jazz und elektronischer Musik.

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