Wie Spotify mit der Reform seines Vergütungssystems seine eigenen Grundsätze untergräbt – und das Musikgeschäft noch prekärer macht.
Es sind große Worte, die sich Spotify auf die Fahnen schreibt: „Diversity, equity, inclusion and belonging.“ Mit diesen Werten wirbt der Streaming-Dienst auf seiner Webseite. Glaubt man der Selbstbeschreibung des unangefochtenen Marktführers, will dieser vor allem eines erreichen: eine Kultur der Inklusion etablieren, in der alle Musikschaffenden gerecht entlohnt werden und so die Ressourcen haben, ihre Kreativität voll zu entfalten.
Doch wie passt dieser Grundsatz mit den Reformen zusammen, die Spotify zu Beginn des Jahres eingeführt hat? Das Unternehmen schreibt seit Jahren rote Zahlen und hat in der Folge erhebliche Stellenkürzungen angekündigt: Ein gutes Sechstel aller Jobs will Spotify streichen. Außerdem hat die Plattform seine Abogebühr von 9,99 auf 10,99 Euro im Monat erhöht.
Nutzt Spotify etwa die daraus entstehenden Mehreinnahmen zur Förderung seiner Ziele Inklusion und Gleichheit? Urteilt man nach einer weiteren zentralen Reform – nämlich der des Vergütungsmodells –, erscheint das höchst fragwürdig: Denn ab sofort verdienen Interpret:innen mit Titeln, die im Jahr weniger als 1000 Streams erhalten, kein Geld mehr. Bisher gab es pro Klick durchschnittlich 0,3 Cent für die Künstlerin. Die Millionenbeträge, die Spotify durch das neue Modell schätzungsweise einsparen wird, sollen nun denjenigen zugutekommen, deren Titel mehr als 1000 Streams im Jahr generieren.
Musikschaffende erhalten einen Bruchteil des Geldes
Mit dieser Reform verschärft Spotify die Folgen eines Modells, von dem ohnehin nur ein bestimmter, privilegierter Strang an Musiker:innen profitiert: dem „Pro-Rata-Modell“. Bei diesem System wird ein Titel nicht nach Streams bezahlt, sondern nach Marktanteil. Kommt ein Titel in einem Land auf 2 Prozent aller Streams, erhält der Rechteinhaber des Songs 2 Prozent der Ausschüttungen für den entsprechenden Zeitraum. Der Rechteinhaber, in aller Regel das Label, verteilt dann je nach Vertrag einen Teil dieser 2 Prozent an die Künstlerin. Von den 10,99 Euro, die Nutzer:innen im Monat zahlen, fließt ein Großteil an die Labels.
Bei den Musiker:innen kommt nur ein Bruchteil des Geldes an. Es bedarf millionenfacher Streams, um mit diesem Modell nennenswert etwas zu verdienen. Eine weitere Folge: Es profitieren Genres und Musiker:innen mit kurzen Songs. Lange Stücke können seltener geklickt werden. Und weil ein Stück erst dann bezahlt wird, wenn es länger als 30 Sekunden gehört wurde, versuchen viele Musikschaffende, schon in den ersten Sekunden möglichst hohe Aufmerksamkeit zu generieren.
Es droht die Verdrängung kleinerer Künstler:innen
Mit dem neuen Modell verteilt Spotify nun nach oben um. Die prekäre Lage kleinerer Künstler:innen und die Zwänge der Aufmerksamkeitsökonomie dürften infolgedessen weiter zunehmen. Zwar argumentiert das Unternehmen, von der Reform würden jene Künstler:innen profitieren, die am stärksten von Streaming-Einkünften abhängig sind: also Professionelle. Doch Musikschaffenden, die erst am Anfang einer Karriere stehen oder sich außerhalb des Mainstreams bewegen, versperrt Spotify nun die Tür. Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates, fasst es gegenüber dem Deutschlandfunk so zusammen: „Was vermeintlich in der Nische sitzt, kann auch nicht entdeckt werden.“
Auch der unabhängige Singer-Songwriter Gregor Wessely alias Greyshadow empfindet die Reform als Ungerechtigkeit: „Für jeden, der sich überlegt, ein Projekt zu starten, ist das ein Schlag ins Gesicht“, sagt der Wiener Musiker. „Denn es ist von vornherein klar, dass du damit kein Geld verdienen kannst.“
Seine Grundsätze Inklusion und Zugehörigkeit stärkt Spotify nach dieser Einschätzung in keiner Weise. Die angepriesene Diversität in seinem Angebot wird Spotifys Reform zwar nicht einschränken, insofern Musiker:innen keine rentable Alternative zum Marktführer finden – nur will Spotify für diese Diversität nicht zahlen.
Bleibt noch der Grundsatz equity, zu Deutsch Billigkeit. Nach folgender Definition ist Spotifys neues Vergütungssystem mit diesem Wert kaum vereinbar: „Die gerechte und verhältnismäßige Behandlung aller, sodass allen die Möglichkeiten, Systeme und Ressourcen zustehen, um ihre beste Arbeit zu vollbringen.“ Die Definition stammt von Spotifys Webseite.
Illustration: Lin Lindner
Was sagen betroffene Musiker:innen zu dem Thema?
ELL, selbsternanntes „Krach-Pop“-Duo aus dem Odenwald:
„Symbolisch ist das ein Schlag ins Gesicht kleinerer Acts, wie z.B. wir das sind. Es verstärkt das Gefühl, dass Musik nur etwas wert sei, wenn sie willkürliche quantitative Kriterien erfüllt. Andererseits planen kleinere Acts nicht mit Streaming-Einnahmen, da diese eh so gering sind, dass sie nicht ins Gewicht fallen. Somit beeinflusst es uns zwar nicht wirklich in unserem Alltag, da 1000 Streams nicht viel ausmachen und wir bisher eh noch nichts durch Streams verdient haben, es also auch nicht in unsere Kalkulationen einbezogen haben. Dennoch beeinflusst es unsere Motivation, überhaupt Streamingdienste in Anspruch zu nehmen, da es sich anfühlt wie ein fortwährender Kampf um Aufmerksamkeit, den man eh nicht gewinnen kann.“
Ri Wesby, Indie-Pop-Musikerin aus Hamburg:
„Ich finde es fatal, degradierend, entmutigend und zu einem gewissen Grad exkludierend. Erstmal ist Geld ein finanzielles Mittel, um existieren zu können – aber auch eine Form der Wertschätzung. Somit vermittelt Spotify ein Bild, dass Artists es erst ab einem bestimmten Punkt wert sind, gehört zu werden und für ihre Arbeit wertgeschätzt zu werden.
Dass man als kleiner Künstler mit den Einnahmen von Spotify nicht wirklich rechnen kann, ist bekannt. Deswegen weichen ja viele auf Merch und Live-Konzerte aus – trotzdem summiert sich das Geld für die Streams auf Dauer zumindest ein bisschen. Dieses kann man in Promo durch Playlist Pitching investieren, damit man überhaupt gehört wird. Wenn das jetzt komplett wegfällt bzw. erst ab einer bestimmten Zahl von Streams möglich ist, dauert es noch länger, bis man Leute über diese Plattform erreicht.“
PLUME, Electronic-Rock-Band aus München:
„Unserer Meinung nach ist dieser Schritt durchaus eine beunruhigende Entwicklung. Die Debatte über die Verteilung von Streaming-Einnahmen – vor allem von kleinen Künstler:innen – ist ja schon seit Jahren ein großes Thema. Aber dass eine marktbeherrschende Plattform wie Spotify den Schritt geht und das Geld bei den kleinsten Artists einspart, um es für andere Zwecke zu verwenden, ist in unseren Augen nicht zukunftsorientiert gedacht. Es ist ein schlechtes Signal an aufstrebende Künstler:innen, die musikalisch neue Wege gehen und weitab vom Mainstream Musik schreiben. Darunter leidet am Ende vermutlich vor allem die musikalische Diversität.
Eigentlich ist es traurig es so zu formulieren, aber die Einnahmen die eine Band in unserer Größe durch Streaming macht sind so verschwindend gering, dass wir keinen wirklichen Unterschied merken würden. Um dieses Problem aus der Welt zu schaffen, müsste man anfangen, über andere finanzielle Verteilungsmodelle oder die ca. 0,280 Cent, die man mit einem Stream verdient zu diskutieren.“
Gregor Wessely alias GREYSHADOW, Singer-Songwriter aus Wien:
„Es ist am Anfang sehr schwierig für Künstler:innen, Fuß zu fassen und Geld zu erwirtschaften. Und im Endeffekt ist jeder auf diese Streaming-Plattform angewiesen. Neue Künstler:innen kommen nicht darum herum, auf Spotify ihr Material hochzuladen. Wir müssen schon jetzt mit extrem niedrigen Vergütungen auskommen – und für jeden, der sich überlegt, ein Projekt zu starten, ist diese Reform ein Schlag ins Gesicht. Denn es ist von vornherein klar, dass du damit kein Geld verdienen kannst. Es sollte ja eigentlich ein Ansporn da sein, neue Musik zu machen: Denn Spotify ist auf uns Musiker:innen ja angewiesen. Aber neue Talente können sich nie entfalten, wenn sie schon am Anfang vor so große Hürden gestellt werden. Ich glaube, viele Musikschaffende denken gar nicht mehr darüber nach, ob das jetzt ungerecht ist, weil sie Spotify längst als potenzielle Einnahmequelle abgeschrieben haben.“
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