Der Rapper Trettmann ist bekannt für seine poetischen Songtexte. Was läge da näher, als sein neues Album „Insomnia” einer Literaturkritik zu unterziehen?
Gastartikel von Samuel Kopp
Wenn sich ein Altphilologe dazu bereit erklärt, für einen Moment Sappho und Catull beiseite zu legen, um das neue Album eines Deutschrappers zu rezensieren, dann ist diese außerordentliche Ehrerweisung wohl nur durch besondere Umstände zu erklären; dann muss es sich um einen wahren Künstler handeln und nicht etwa einen jener konsumdemokratisch generierten Top-Rapper, deren musikalischer Ausfluss letztlich nur bei abgeschaltetem Verstand überhaupt genießbar ist und deren Texte zum Großteil besser von einer KI hätten geschrieben werden sollen.
Tatsächlich ist dieser Trettmann (bürgerlich: Stefan Richter) einer, für den Worte mehr sind als nur Füllmaterial für seine Songs; einer, der mit Sprache feinsinnig umzugehen versteht, in dessen Texten sich auch mal Zitate aus Goethe, Büchner oder Brecht finden und dem man daher getrost eine poetische Ader attestieren darf, ohne den alten Dichtern Unrecht zu tun. An lyrischen Glanzpunkten leidet nun auch sein neues Album Insomnia keinen Mangel, welches zugleich Trettmanns Comeback nach einer längeren Schaffenspause und den Endpunkt seiner äußerst erfolgreichen Zusammenarbeit mit den Produzenten von KitschKrieg markiert.
Trettmanns Element ist die Nacht
Um mit dem Wesentlichen zu beginnen: Der ganze Witz an einem Album ist ja, dass die darauf versammelten Songs eben nicht in Reihenfolge und Thematik beliebig austauschbar sind, was bekanntlich zuweilen vergessen wird. Nicht aber bei Trettmann: Hier begleiten wir vielmehr das – um einen Ausdruck aus der Schulinterpretation zu verwenden – lyrische Ich bei einer zwar sehr schmerzhaft, aber nie beklommen wirkenden persönlichen Entwicklung ausgehend vom Zusammenbruch einer langjährigen Beziehung (was bedauerlicherweise wohl alles weniger fiktiv als real ist). Nicht nur deshalb fällt Insomnia durch einen überwiegend dunklen Grundton auf, sondern auch aus dem weniger betrüblichen Grund, dass nächtliches „Neonlight“ des Partygängers Tageslicht ist, der gegen Ende des Albums vermehrt auf seine Kosten kommt.
In diesem nyktophilen Zusammenhang lässt sich denn auch eines der schönsten Bonmots des Albums verstehen, passenderweise aus dem gleichnamigen Song Insomnia: Es sei der „Sonnenuntergang nur schön, weil die Sonne untergeht“, wird da mit feinem Hintersinn festgestellt. Formulierungen und Sprachbilder dieser Güte, die schiere Freude am Umgang mit dem geschriebenen Wort vermitteln, finden sich besonders hier an manchen Stellen in solcher Dichte, dass sich beim Hören höchste Achtsamkeit oder auch ein paralleler Blick in die lyrics empfiehlt, um nicht etwa einen geistreichen Gedanken zu verpassen.
Ein ganzes Leben in wenigen Versen
Wo Wortkünstler am Werk sind, da darf spätestens seit ihrem 2022 publizierten Debütalbum auch Paula Hartmann nicht mehr fehlen, unter den deutschsprachigen Lyriker:innen – jedenfalls unter denjenigen, deren Werk von einer nennenswerten Öffentlichkeit konsumiert wird – sicherlich die talentierteste. Allerdings lässt nun ausgerechnet der von ihr verfasste Song Gekreuzte Finger auf dem neuen Trettmann-Album die gewohnte Genialität wenigstens ein Stück weit vermissen, was auch an Hartmanns extrem parataktischem Stil liegen mag, der hier zum Vorschein kommt: „Fake Love, Aperol und Easy Talk / Lash lift, wir spiel’n uns etwas Liebe vor.“ Ein probates Mittel expressiven Dichtens, sicher, allerdings auf Kosten der Gefahr, dass der Textfluss irgendwann nur noch unzusammenhängende Schlagworte anzuspülen scheint.
In solche Verlegenheiten gerät man mit Trettmann wiederum zu keinem Zeitpunkt, da dieser das flüssige und klare Erzählen auf angenehme Weise beherrscht, eine Kunst, die natürlich unter dem Zwang von Rhythmus und Versmaß ungleich höher einzuschätzen ist als in Prosa. In wenigen Zeilen vermag er etwa eine Geschichte seines Lebens zu entwerfen, von der Schulzeit über den Mauerfall bis zum Durchbruch als Sänger, nur das Wesentlichste in schnörkelloser Ästhetik und gerade deshalb unheimlich treffend und berührend.
Freilich ist auch bei Trettmann nicht jedes Wort literaturnobelpreisverdächtig und wer genau hinhört, wird den einen oder anderen gezwungen wirkenden Reim ausmachen können oder auch manche holprige Stelle, wenn einmal – wie der Metriker sagen würde – die natürliche Wortbetonung nicht recht aufs Versmaß passen mag. Das aber ist verzeihlich, kommen doch auf jede kleine Ungereimtheit elegante Reimketten und scharfsinnige Formulierungen zuhauf.
Dementsprechend ist Insomnia im Ganzen ein Genuss, und zwar ein literarisch ziemlich hochwertiger. Und in der Euphorie, dass es so etwas überhaupt gibt, hochwertige Literatur im Verbund mit erfolgreicher moderner Unterhaltungsmusik, möchte man gerne glauben, dass Künstler:innen wie Trettmann mehr seien als kurzzeitig gehypte Moderapper, sondern die Sapphos und Catulle unserer Zeit.
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