Die Harfenistin Alina Bzhezhinska und den Saxofonisten Tony Kofi verbindet eine tiefe Liebe zum Jazz. Über ihr neues Album, die Improvisation und eine magische Begegnung mit Pharaoh Sanders.
Ruhig und überlegt, aber gleichzeitig so erhaben und präsent voller Anmut erklingt die Melodie luftig aus dem Saxofon von Tony Kofi. Zartseiden wird diese umspielt mit dem Volumen der Harfe Alina Bzhezhinskas. So klingt „Altera Vita“ auf dem gleichnamigen neuen Album der zwei Jazz-Musiker:innen aus London. Dieser Titeltrack ist Pharaoh Sanders gewidmet. Kurz nach dem Tod des legendären US-amerikanischen Saxofonisten im September 2022 kamen Kofi und Bzhezhinska zusammen und komponierten zu seinen Ehren dieses Stück. „Auf ‚Altera Vita’ schwebt der Geist von Pharaoh herum. Für Tony und mich war seine Art zu spielen eine große Inspiration.“, erzählt die Harfenistin Bzhezhinska im Interview.
Ein Konzert, das was auslöste
Es war auf dem London Jazz Festival 2017, als die zwei Musiker 2017 mit ihrem großen Idol, ihrem „Hero“ gemeinsam ein Konzert spielten. „Er war sehr ruhig, sprach nicht viel und hatte eine spirituelle Aura, die mich tief beeindruckte.“, schwärmt Bzhezhinska von dieser Begegnung. Ein magischer Abend, eine intensive Erfahrung, die Bzhezhinska und Kofi noch lange prägen sollte. So entstand aus einem Stück bald darauf ein ganzes Album, das sie Pharaoh Sanders widmeten.
Vergleich mit Jazz-Giganten
An zwei hochsommerlichen Tagen kamen die Harfenistin und der Saxofonist 2023 im Studio in London zusammen und ließen die Kunst der Improvisation ihren Lauf nehmen. Nur mit weiteren wenigen ausgewählten Musiker:innen, wie Muriel Grossmann, eine der führenden Köpfe des Spiritual Jazz, wurden einzelne Melodie-Schnipsel zu sechs sphärisch schwebenden Kompositionen. „In diesem Album steckt viel Herz und Seele, unsere Erfahrung als Musiker:innen und auch der Einfluss der Jazz-Giganten.“ Wie ein Pharaoh Sanders oder eine Alice Coltrane, mit welchen Legenden sie prompt von einem italienischen Kritiker verglichen werden. Für Bzhezhinska ein „Massive Statement“.
Doch dabei klingt es bei diesem Album nicht zu hoch gegriffen, jetzt schon von einem Meisterwerk des Spiritual Jazz zu schreiben. Denn auch ohne den Einfluss der Jazz-Giganten sind Kofi und Bzhezhinska bereits zwei sehr bekannte Namen in der innovativen Londoner Jazz-Szene, die immer wieder mit Preisen ausgezeichnet und hochgelobt werden. „Es war in einer sehr finsteren Bar, als ich plötzlich den wunderbaren Sound aus Tonys Saxofon gehört habe – und ich war gleich wie verliebt.“, erzählt die Harfenistin von ihrem ersten Aufeinandertreffen mit Kofi. Damals ist sie neu in London und suchte Leute zum Spielen. Kurze Zeit später trafen die zwei Musiker sich im Studio wieder und ihr erstes gemeinsames Album „Inspirations“ entstand. Das ist mittlerweile sieben Jahre her. „Altera Vita“ ist bereits ihre dritte Zusammenarbeit auf einem Langspieler.
British Jazz, ein Melting Pot der Kulturen
Immer wieder spielen sie zusammen Konzerte, nehmen auf, es ist eine tiefe Freundschaft voller Improvisation und Liebe zum Jazz. Ihr Sound reflektiert verschiedene Musiktraditionen und lässt diese magisch verschmelzen. Bzhezhinska kommt aus der Ukraine, Kofi wuchs als Sohn ghanaischer Migranten in England auf. „Mit unseren Gesprächen und gemeinsamen Sessions lernen wir unsere musikalischen Wurzeln zu verstehen. Dabei ist interessant, dass es viele Parallelen in Rhythmen, Tanz und Melodik gibt.“, sagt die Harfenistin. Es ist die Melodie, über die bei den beiden Musikern viel läuft. Ist diese eingängig, lässt sich darauf aufbauend gut improvisieren.
Und genau darin liegt der spezielle Kernpunkt und die Innovationskraft der Londoner Jazz-Szene: Das harmonisch extrovertierte Verschmelzen von verschiedenen Ursprüngen, Sounds und Traditionen. „Es gibt hier das Radio Jazz FM, das immer British Jazz spielt, dabei kommen die Leute, die diesen spielen aus den verschiedensten Ländern. London ist ein einzigartiger musikalischer Melting Pot.“, berichtet die Harfenistin, die seit 10 Jahren in der pulsierenden Metropole an der Themse lebt und hier den Jazz für sich entdeckte.
Eigener Sound an der Harfe
Ihre ersten Schritte als professionelle Musikerin hat Bzhezhinska in der klassischen Musik gemacht. Bei hochdotierten Professor:innen lernte sie an der Akademie in Warschau und fand beim Studium des Jazz an der University of Arizona ihren eigenen Sound. „Hier habe ich angefangen, meine eigene musikalische Sprache an der Harfe zu entwickeln. Nun kann ich meine Persönlichkeit, meine Gefühle über mein Spiel ausdrücken.“ Nach einer Station in Edinburgh widmete sie sich in London schnell nur noch dem Jazz. Mit ihrem Neuinterpretation der Harfe brachte sie das große, schwere Instrument, das in klassischen Orchestern meist nur eine kleine Nebenrolle spielt, ins Rampenlicht der internationalen Jazz-Szene zurück. Nachdem in den 1970er Jahren zuletzt vor allem Alice Coltrane als große Harfenistin ihren Auftritt hatte.
Pharaoh Sanders, der mehrere Alben mit Coltrane aufnahm, gefiel vor allem das Parfum, das die junge, begeisterte Harfenistin aus der Ukraine an jenem gemeinsamen Konzertabend trug. Es war ein Duft von Dior. Gerade diese kleinen Details blieben Bzhezhinska und Kofi nachhaltig in Erinnerung. So detailreich und feinfühlig, wie das Album und der Sound nun klingen, mit dem die Harfenistin und der Saxofonist in wunderbarer Harmonie aufblühen.
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