Körperlich, tanzbar, queer: Die New Yorker Band beeindruckt auf ihrem zweiten Album mit pulsierendem Dance-Punk und schonungsloser Selbsthinterfragung.
Die erste Person, vor der sich Cole Hayden als schwul outete, war eine Schulfreundin in der achten Klasse. So erzählt es der Sänger von Model/Actriz mit zerbrechlicher Stimme auf dem Spoken-Word-Stück „Headlights“, begleitet vom filmischen Kratzen einer manipulierten Gitarre. Was Hayden seiner Schulfreundin nicht anvertraute: Er hatte sich in einen Freund von ihr verliebt und besuchte sie immer häufiger in der Hoffnung, diesen bei ihr anzutreffen. Wie besessen wartete er darauf, die Autoscheinwerfer seines Schwarms in der Einfahrt zu erblicken. Hayden begann, den Jungen zu verfluchen, sich selbst zu verfluchen. Und er betete vergebens, dass dieser ihm das Selbstwertgefühl geben könnte, das ihm selbst fehlte.
Queerness zwischen Euphorie und Selbsthass
Es ist eine klassisch queere Perspektive, die Model/Actriz auf „Pirouette“ einnehmen. Sie projiziert die emotionalen Bewältigungsstrategien eines schwulen Mannes, dessen Begierde oft unterdrückt geblieben ist und dessen Körper in der Folge entwertet erscheint. Die New Yorker Band rückt ein Stück vom wilden Noise-Rock ihres Debütalbums ab. Sie beschwört einen queer codierten Dancefloor-Geist, eine verzerrte Energie, die Cole Haydens emotionale Narben aufplatzen lässt.
Auf dem Eröffnungsstück „Vespers“ leiten ein pulsierender Beat und vorwärtstreibende Noise-Perkussion in einen ansteckenden Refrain über. „In all the lights it’s you, you, you“, singt Cole Haydens und scheint sich mit seinem ekstatischen Falsett an sein Gegenüber anzuschmiegen. Sein Gesang reflektiert eine ungeheure Körperlichkeit, mal fragil, mal euphorisch, mal verführerisch bis notgeil. Dabei entsteht immer wieder eine Spannung zwischen der lärmenden Geräuschkulisse und der tanzbaren Melodik.
Der Dance-Punk dieses Albums klingt sowohl hedonistisch als auch zutiefst entfremdet. Da ist der unruhige Club-Beat von „Diva“, die maschinellen Industrial-Sounds und das beißende Gitarrenriff von „Cinderella“. Auf dem ersten Song erzählt der Protagonist von seinen Treffen mit Männern in europäischen Großstädten, denen er jedoch kein Zuhause anbieten kann. Auf dem zweiten holt ihn eine Kindheitserinnerung ein: wie er sich als Fünfjähriger Cinderella-Mottoparty zum Geburtstag wünschte, doch den Wunsch nicht äußerte und mit seiner stummen Scham zurückblieb. In diesen Momenten wird immer wieder der Einfluss der experimentellen Band Xiu Xiu spürbar: Auch deren Frontmann verarbeitet mit seinem gequälten Vortrag seine sexuelle und emotionale Entwertung.
Das Spiel mit der Perspektive
Dennoch schaffen es Model/Actriz, sich erzählerisch von ihren Einflüssen abzuheben und auch eigene musikalische Akzente zu setzen. Bestes Beispiel: „Departures“. Der tanzbare Beat des Songs imitiert den Hedonismus einer wilden Club-Nacht. „Let me be your girl“, schmachtet Cole Hayden neckend ins Mikro. Eine Aufforderung an sein Gegenüber, ihm Halt zu geben, ihn wie das traditonell objektivierte Mädchen in sich aufzusaugen. Er sucht die totale Hingabe an jemand anderen, der ihm das Gefühl geben könnte, schön zu sein – egal, wie heilig oder sündhaft diese:r Andere auch sei: „Embody me, Osiris / embody me, Persephone / embody me, Magdalene / embody me, Jesus.“ Verkörpere mich! Werde eins mit ihr! Ganz entgegen der queeren Erfahrung, körperlich abgestoßen zu werden, spricht aus dieser Forderung das unbedingte Verlangen des Protagonisten, begehrt und besessen zu werden. Selbst wenn er dafür den Preis der Selbstaufgabe zahlen muss.
Model/Actriz spielen auf diesem Album mit der Perspektivenverschiebung. Sieht der Protagonist auf „Departures“ nur aufgrund der Bestätigung durch jemand anderen einen Wert in sich, blickt er auf „Baton“ durch die Augen einer anderen auf sich selbst. Cole Hayden versetzt sich in seine Schwester hinein und blickt mit ihren Augen auf sein altes Ich; wie er seinen Kopf ans Fenster lehnte und sie in der Türschwelle stand, wie sie beide lachend auf dem Teppich umherkrabbelten. Er beobachtet sich von außen. Und vielleicht ahnt er in diesem Moment, was es bedeutet, für andere ein Mensch zu sein.
Bild: Lily Frances
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