Wird geladen
svg
Offen

„My name is Taylor“

30. Juli 20246 Min. gelesen

Hunderttausende Menschen strömten am Wochenende ins Münchner Olympiastadion, um sie zu sehen. Was macht Taylor Swift zu einem so außergewöhnlichen Pop-Phänomen?

Die wahrscheinlich berühmteste Frau der Welt steht auf der Bühne des Münchner Olympiastadions und sagt: „I’ll be your host tonight. My name is Taylor.” Bei der Erwähnung ihres Namens beginnt die Menge zu toben. Es ist ihr erster von zwei Live-Auftritten in München. 74.000 Menschen sind allein heute ins Olympiastadion gekommen, um Taylor Swift zu sehen. Etwa 50.000 weitere haben den Olympiaberg überrannt und sich im gesamten Park versammelt. Nur für sie.

„We made it!”

Mit ihrer „Eras Tour“ setzt Taylor Swift in kommerzieller wie in kultureller Hinsicht völlig neue Maßstäbe. Innerhalb von Sekundenschnelle waren ihre Shows ausverkauft, auch in München. Ein Ticket zu ergattern, hielt mehr Hürden bereit als so mancher Bewerbungsprozess. Als man es am ersten Konzertabend durch die Eingangskontrolle geschafft hat und im prall gefüllten Olympiastadion steht, bekommt man ein Leuchtband um den Arm. Eine Besucherin ruft ekstatisch in die Menge: „We made it!“ Es ist das Gefühl, das in diesem Moment Zehntausende verbindet: Wir haben es geschafft, wir dürfen hier sein!

Für viele Besucher:innen im Olympiastadion wird an diesem Tag ein Lebenstraum wahr. Taylor Swift ist nicht nur irgendeine Sängerin, die sie gerne hören. Sie ist ihr Idol. Bereits 2015 war Swift ein Superstar, doch selbst dieser Superlativ drückt ihren heutigen Ruhm nicht mehr recht aus. Manche Fans verfolgen die US-Amerikanerin und ihre Musik seit vielen Jahren, andere sind neu im Club der „Swifties“. Das Besondere an der Eras Tour ist: Taylor Swift macht es ihnen allen recht. Sie spielt Hits und Albumtitel der vergangenen 18 Jahre, deckt also jede „Ära“ ihrer Karriere ab. Je nach Schaffensperiode schlüpft sie in die Rolle der Songwriterin mit Akustikgitarre, der Rachegöttin oder der schillernden Pop-Ikone. Dazu gibt es jeweils das passende Bühnenbild, farbenfrohe Projektionen auf einer Riesenleinwand, aufwendige Choreografien. Bei manchen Stücken wird Swift von einer Band begleitet. Geschätzt ein Dutzend Mal wechselt sie ihr Outfit.

Das Taylor-Swift-Universum

Viele Anwesende wissen oft ganz genau, welches Kaninchen Taylor Swift als nächstes aus dem Hut zaubern wird. Über den Konzertfilm zur Eras Tour und sämtliche Social-Media-Kanäle konnte man schon vor dem Auftritt an diesem popkulturellen Phänomen teilhaben. Und so erklingen die begeisterten Schreie der Fans nicht immer aus Überraschung, sondern aus dem Gefühl, es gewusst zu haben. 

Denn im Personenkult steckt auch ein Element der Selbstverwirklichung. Ich gehöre dazu!, lautet womöglich die Botschaft der jungen Besucherinnen, die sich selbst und einander beim Tanzen und Mitsingen filmen, noch bevor sie die Handykamera auf die Bühne richten.

Aber man trifft auch weniger eingefleischte Fans im Olympiastadion an, Eltern mit ihren Kindern oder Männer mittleren Alters. Diejenigen, die nicht ganz so tief im Kult drin sind, fragen sich vielleicht: Warum haben sich so viele Besucher:innen eine „13“ auf die Hand gestempelt? Was hat es mit diesen Freundschaftsarmbändern auf sich, die massenhaft getragen und getauscht werden? Es handelt sich dabei um Symbole aus dem Taylor-Swift-Universum. Zeichen der Zugehörigkeit, die nicht jede:r versteht und vielleicht nicht jede:r verstehen soll.

Vielleicht ist es das, was Taylor Swift so gigantisch macht: Sie hat über die Jahre ein breites und dichtes Netz aus Anspielungen und intertextuellen Verweisen geschaffen, die auf sie als Person oder als Künstlerin schließen lassen. Denn ihre Texte sind außerordentlich zitierbar, egal ob sie poetisch, bissig, spielerisch oder lächerlich wirken. Vor allem sind sie selbstbezüglich. „Darling, I’m a nightmare dressed like a daydream.“ „I’m sorry. The old Taylor can’t come to the phone right now. Why? Oh, ‘cause she’s dead.” Swifts Fans kennen all die One-Liner, die zunehmend ein Eigenleben außerhalb ihrer Songs entwickelt haben und als Mottos oder Memes weiterwirken – doch immer an die persona Taylor Swift gebunden bleiben.

Neuerfindung folgt auf Neuerfindung

Dennoch gibt es an diesem Abend viele Momente, die auch für Nicht-Swifties unmissverständlich sind. Während des Songs „Love Story“ macht ein Besucher seiner Partnerin einen Heiratsantrag, das Publikum jubelt. Später zeigt die Leinwand ein junges Mädchen in der ersten Reihe; als Taylor Swift auf sie zuläuft und sie umarmt, bricht sie in Freudentränen aus.

Die Eras Tour macht Platz für die großen Gefühle. Während der „Lover“-Ära halten die Fans Papierherzen in die Luft, später fällt Konfettischnee vom Himmel und die Leuchtarmbänder tunken das Stadion in gleißendes Rot und Blau. Selbst nach guten drei Stunden bombastischer Refrains und rührender Herzschmerzgeschichten wirkt die Sängerin nicht müde. Es scheint dieser Tage, als könne Taylor Swift sich so häufig wiederentdecken, wie sie wolle, und sie würde damit Erfolg haben. Als könne sie der Welt stets eine weitere Facette ihrer Persönlichkeit präsentieren.

Fotos: Felix Meinert

Was denkst du?

5 People voted this article. 5 Upvotes - 0 Downvotes.

Felix Meinert - Redaktion

Schon mit fünf Jahren war ich musikalisch begeistert: Damals trat ich mit meiner Fantasieband vor meiner Familie auf, sang (besser: schrie) auf meiner Fantasiesprache und trommelte mit Plastikstöcken unkontrolliert auf meinem Hüpfball herum. Da der ersehnte Durchbruch aber ausblieb, tobe ich mich heute lieber beim Hören und Schreiben aus. Oft feuilletonistisch, gerne nachdenklich bis nörglerisch, stets aber von Herzen schreibe ich über so ziemlich alles zwischen Rock, Pop, Folk, Hip-Hop, Jazz und elektronischer Musik.

svg

Was denkst du?

Kommentare anzeigen / Kommentar hinterlassen

Sag uns, was du denkst

Auch ein guter Beitrag!
Wird geladen
svg