Zehn Jahre nach Veröffentlichung hat dieses Album des Wuppertaler Rappers kein bisschen seiner wortgewaltigen Wucht verloren.
Wer Viktor Bertermann alias Prezident vorstellen will, lässt ihn das am besten gleich selbst tun: „Ich bin eine Hälfte guter Wille, eine schlechtes Gewissen.“ Als scharfsinniger und schonungsloser Texter hat sich der Rapper aus Wuppertal im Underground schon in den späten 2000ern einen Namen gemacht. Sein bisheriges künstlerisches Kronjuwel lieferte er vor fast genau zehn Jahren. Und schon früh lässt er das Publikum wissen, was es auf „Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte“ erwartet: „Gute Rapper unterhalten, ich verstöre lieber.“
Prezidents Stil, von ihm selbst „Whiskeyrap“ genannt, ist vom Klang her schnörkellos: Meist genügen ein hypnotischer Klavier-Loop, ein souliges Sample und das stetige Scheppern der Perkussion. Epic Infantry, Jay Baez und Bojanglez verleihen dem Album mit ihrer Produktion das Grundgerüst für seinen kalten, zwielichtigen Charakter. Im Vordergrund steht Prezidents Stimme. Mit pointierten und schlagkräftigen Flows bringt er seine Worte zum Leben, betont jede Silbe mit Nachdruck und Bedacht. Unter die Haut geht nicht nur die Art, wie Prezident rappt – sondern vor allem, was er rappt.
Prezident erspart kein schauriges Detail
Die Texte des heute 39-Jährigen sind wortgewaltig, reich an Metaphern und Anspielungen. Er vergleicht sich mit Charles Bukowski und Filmregisseur David Lynch, bezieht sich auf den Soziologen Pierre Bourdieu und auf Platons Höhlengleichnis. Es ist zum Teil schon Nische. Es ist häufig auch provokant: Denn Prezident weiß, dass er in den meisten Räumen der Klügste ist, und versteckt das nicht.
Genauso wenig scheut er sich, der Gesellschaft und sich selbst den Spiegel vorzuhalten. Auf „Schlingpflanzen“ holen das lyrische Ich verdrängte Erinnerungen ein, sie verfolgen ihn in Gestalt der Abfälle, die er gerne die Toilette herunterspülen würde. Prezident erspart einem dabei kein ekelerregendes Detail, kein Bild, das einen im nächtlichen Albtraum heimsuchen könnte. Ebenso schaurig zeichnet er das Porträt der Moderne auf „Menschenpyramiden“: Im künstlichen Licht der ALDI-Kühltruhe, wo sich das Fleisch in Plastikverpackung stapelt, spiegelt sich unser vermessenes Verständnis von Wohlstand und Freiheit.
Nach dem Hören eines Prezident-Albums fühlt man sich kaum wie ein besserer Mensch; aber vielleicht blickt man anders auf die Überheblichkeiten, mit denen man soeben konfrontiert wurde. Und kann sich so auch mit der Idee abfinden, dass es keinen „Tag des Zornes“ bedarf, um den schleichenden Untergang der Menschen und ihrer Hybris zu besiegeln. Denn vielleicht sind wir den Konfettiregen der großen Apokalypse schlicht nicht wert.
Kampfansage an die Deutschrap-Szene
Ein wenig erscheint Prezident auf diesem Album wie Doktor Faust, der in seinem einsamen Arbeitszimmer vor den Fragezeichen seines eigenen Werkes sitzt. Denn wie schon der Albumtitel und der Song „Succubus“ verraten, ist die Kunst für Prezident eine „besitzergreifende Geliebte“: Sie beansprucht ihn für sich, saugt ihn auf wie schon viele Kunstschaffende vor ihm. Dass er in den Abgründen seiner eigenen Ideen auch mal in den Nihilismus abdriftet, verwundert da kaum.
Mit der Wucht und Vielschichtigkeit seiner Texte setzt sich Prezident von vielen seiner Mitstreiter:innen im Deutschrap ab. Dass er sich dieser Szene nicht zugehörig fühlt und ihr weit voraus ist, ist die unmissverständliche Botschaft von „Classic Coke“. Getragen von einem Sample aus „Breaking Bad”, dröhnendem Bass und steinharter Boom-Bap-Perkussion, ist dieser Song nicht weniger als eine Machtdemonstration:
„Texte komm’n Ticken besser, Flow stimmt, Stimme scheppert
Und unerlässlich für den Vibe
Und nicht zuletzt ist, was ich schreib, auch tatsächlich so gemeint
Es rüberbringen zu können und authentisch sein ist eins
Ich verwässer‘ nie die Message zur Verbesserung des Rhymes
Prezident, einer der Echtesten zur Zeit
Was ich mach, ist Classic Coke, was du machst, ist Pepsi Light“
Mit dieser Strophe sagt Prezident der Deutschrap-Szene im Jahr 2013 den Kampf an. Die Ironie ist: Außerhalb des Undergrounds hat sie wohl kaum jemand gehört. Auch zehn Jahre nach Veröffentlichung von „Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte“ bleibt Prezident eine außergewöhnliche Randerscheinung im deutschen Hip-Hop; ein Unheilsprophet ohne Publikum, überspitzt gesagt. Und wenn sich der Wuppertaler noch heute die Frage erlauben darf: „Du wusstest nicht, was Whiskeyrap ist?“ – dann wird es höchste Zeit.
Fotos: Katharina Hertle
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