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Sag mir deinen Namen, Held! 

20. Februar 20248 Min. gelesen

Ist es eine Hommage an Alexej Nawalny? Seinen neuen Song „Schiwoj“ („Am Leben“) widmet der russische Pop-Sänger Shaman der politischen Opposition. Warum dies einen ganz miesen Beigeschmack hat.  

Es war der 18. Januar 2024, an dem der russische Pop-Sänger Shaman den Song „Schiwoj“ („Am Leben“/„Lebendig“) veröffentlichte. Dazu ging auf YouTube ein hochwertig produziertes Musikvideo online. In der ersten Szene ist der Musiker mit den strahlend blonden Haaren als Gefangener in einem Kerker zu sehen. In fast biblischem Ausmaß wird die Geschichte eines gescheiterten Helden erzählt, der auf dem Weg zu seiner Kreuzigung von einer aufgebrachten Menschenmenge beschimpft, bespuckt, mit Steinen beworfen wird. Dazu singt Shaman in der Du-Perspektive über diesen Helden, den „Krieger des Lichts“ („Woin sweta”), der immer die Wahrheit suchte und sich nie versteckte. Steht dieser Song, dieser Text, diese Inszenierung in einem perfiden Zusammenhang mit dem ominösen Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny? Ein Verdacht macht sich breit. Es gibt einige Parallelen und die Wahl der Kunstgriffe könnten diesen bestätigen. Oder ist es doch reiner Zufall? 

Putin liebt seine Musik – der russische Popsänger Shaman. ©Wikimedia-Commons.

Wer ist Shaman? 

Mit Blick auf die Musik und die Bedeutung von Shaman in Russland schließt sich das mit dem Zufall sehr schnell aus. Jaroslaw Dronow, so sein bürgerlicher Name, stammt aus den Vororten Moskaus und wird von vielen jungen Frauen verehrt… und seit rund zwei Jahren scheint auch Wladimir Putin ein großer Fan dieser poppigen Klänge zu sein. Der russische Staatspräsident machte ihn innerhalb kürzester Zeit zum größten Star und zu einem wichtigen Instrument seiner Propaganda. Bei seinen Live-Auftritten schwenken ganze Stadien zu Zehntausenden kleine Russland-Fähnchen, während das Poster-Teenie-Idol seine patriotischen Songs performt. 

Ich bin Russe, ich gehe bis zum bitteren Ende. 

Ich bin Russe, mein Blut ist das meines Vaters. 

Ich bin Russe, und damit habe ich Glück. 

Ich bin Russe, der ganzen Welt zum Trotz

Shaman – „Ja Russki” (Ich bin Russe) 

Diese Zeilen singt Shaman in seinem erfolgreichsten Hit „Ja Russki“ (Ich bin Russe). Pathetisch und mit viel Melancholie zeichnen seine Lieder das Bild eines gelobten Russlands, das in Zukunft über den Westen strahlen wird. Gerade während des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wird seine Musik so zum Soundtrack des Krieges. Soldaten werden in den Texten zu Helden stilisiert, in den Musikvideos wird der heroische Kampf an der Front dargestellt.

Ein Song gewidmet an alle, „die für die Wahrheit gelitten haben“ 

Doch was bei den Zeilen und den Liedern generell auffällt: Es wird selten konkret. Es sind keine klaren Feindbilder, die gezeichnet werden, vielmehr sind es gängige Narrative und Wertevorstellungen, die umso stärker überblenden. Dabei wird mit Codes gearbeitet. So erklingt im neuesten Song „Schiwoj“ dieser Ausruf: „Sag deinen Namen, Held!“. Dies wirkt wie eine Anspielung darauf, dass der Name von Nawalny sowie die Namen generell von politischen Gegnern im Staatsfernsehen nicht ausgesprochen werden. Genauso die Äußerung „Du glaubtest nicht an die Angst“, welche auf ein Interview mit Nawalny Bezug nimmt. Dort fragten Journalisten den Oppositionspolitiker, ob dieser Angst hätte, nach Moskau zurückzukehren. 

Ähnlich ist dies auch, wenn der Sänger seinen Helden zum „Krieger des Lichts“ erhebt, der am Leben geblieben sei. Dies spiele indirekt auf die Vergiftung Nawalnys im Sommer 2020 an, meint ein Kommentar unter dem Musikvideo. Ein leuchtender, gescheiterter Held, der im spärlich beleuchteten Bunker seinem Ende entgegengeht. Eine groteske Szenerie, in der im postsowjetischen Russland viele Demokratiebewegungen und Freiheitskämpfer ihr Ende fanden. In einem aktuellen Interview direkt darauf angesprochen weist Shaman diese offensichtlichen Bezüge von sich und zitiert dabei Putin. „Wie der Präsident zu sagen pflegte: Bloßes Gerede, Unfug! Aus der Nase gebohrt und über Telegram-Kanäle verschmiert.“ 

Das Video zum neuen Song „Schiwoj“ erschien am 18. Januar 2024 auf Youtube.

Alles minutiös geplant? 

Für Shaman begann der künstliche Hype fast genau vor zwei Jahren. Zwei Tage vor Beginn des Überfalls Russlands auf die Ukraine, am 22. Februar 2022, erschien der Song „Wstanem“ („Wir erheben uns“). Darin ruft Shaman dazu auf, dass sich Russland erheben soll und beschwört die „russischen Helden“ des Zweiten Weltkriegs herauf. Der Song „My“ ( „Wir“) kam am Geburtstag Adolf Hitlers heraus. Alles scheint minutiös geplant und nichts dem Zufall überlassen. So ist auch der neueste Song, „Schiwoj“ am 18. Januar nicht zufällig drei Jahre auf den Tag genau nach der Inhaftierung Nawalnys erschienen. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die sehr präsente Songzeile „Du kehrtest glorreich in die Heimat zurück“ mit anderer Wirkung. Der Umstand, dass Nawalny ein paar Wochen danach auf rätselhafte Weise stirbt, macht diesen Song zu einem Abgesang auf Putins einflussreichsten Kritiker. 

Wiederum mit Verweis auf die christlich-orthodoxe Heilsgeschichte verdreht Shaman im Interview die Tatsachen und behauptet, das Video sei am 19. Januar, also dem Fest der Taufe Christis, online gegangen. Das letzte Wort hatte da wohl auch der Wahlkampf von Putin.  

Biblische Anspielungen im Musikvideo

Der russisch-orthodoxe Glaube spielt bei Shaman oft eine prominente Rolle. In Text und Bild. Klar sichtbar trägt der Sänger immer ein Holzkreuz um den Hals. Bei Auftritten, im Interview oder auch im Video zu „Schiwoj“. Genauso wirkt die Inszenierung wie eine tragisch überzogene Darstellung der Kreuzigung Jesus Christus. Noch indirekt verstärkt durch sein blasses, blondes Antlitz steht der Sänger da wie ein gescheiterter Messias, der sich nun seinem Urteil und der wütenden Volksmenge hingibt. 

Fast wie eine strahlende Auferstehung wirkt dagegen das Ende des Videos. Er singt, dass der geliebte Held in den Köpfen der Menschen bleibe und auch im Himmel ewig für seinen Kampf erinnert bleibt. Dieses Ende wirkt sehr universell und lässt nur vage einen Bezug zu Nawalny herstellen. Gleichzeitig wirkt dies mit Blick auf den weiteren Hergang der Ereignisse um den oppositionellen Politiker wie eine Vorsehung. 

Quellen: 

https://www.tagesschau.de/ausland/asien/alexej-nawanly-gestorben-russland-100.html

https://www.dekoder.org/de/article/shaman-kampf-propaganda-popmusik

https://www.t-online.de/nachrichten/ukraine/id_100250686/russland-putins-liebling-popstar-shaman-verbreitet-kriegspropaganda.html

https://youtu.be/M9iRA8bXOSU?si=_8cWEw2BQ2T0tXQh

Kommentare übersetzt mit: https://www.deepl.com/de/translator 

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Balthasar Zehetmair - Redaktion

Sucht den Sinn des Lebens in Bob Dylan Songtexten und findet ihn bei den Wildecker Herzbuben. Meistens in Schallplattenläden und immer mit Kopfhörern auf den Ohren zu sehen.

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