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SOPHIE – SOPHIE

8. Oktober 20247 Min. gelesen

Posthume Veröffentlichungen schmerzen nicht nur, weil sie das Ende eines Lebens kennzeichnen, sondern oft auch aufgrund ihrer Qualität. Lehnt „SOPHIE“ sich gegen den Trend auf?

Können posthume Alben dem Leben und Werk ihrer Künstler:innen wirklich gerecht werden? „SOPHIE“ reicht nicht an die wahre Größe ihrer titelgebenden Musikerin heran. Wie könnte es auch? Die schottische Musikproduzentin, Sängerin und DJane verstarb drei Jahre vor der Veröffentlichung bei einem Kletterunfall. Das vorliegende Album sollte zu diesem Zeitpunkt zwar schon fast fertig sein, posthum vervollständigte es ihr Bruder Benny Long. Was SOPHIE aber selbst noch hinzugefügt oder verändert hätte und ob das Projekt wirklich so ausgefallen wäre, lässt sich nie beantworten.

Andenken und Feiern

Das Album trägt ihren Namen, und so erwartet man einen Umriss ihrer Person, so schwierig das auch sein mag. Doch „SOPHIE“ ist in weiten Teilen vielmehr eine eingleisige Weiterfahrt früherer Motive. Gleichzeitig behält man im Hinterkopf, dass diese Ausarbeitung durch ihre Familie geschah – und wie könnte man als Fan behaupten, sie selbst musikalisch besser als diese zu kennen?

„SOPHIE“ klingt nur selten wie „OIL OF EVERY PEARL’S UN-INSIDES“, das Debütalbum der Schottin. Vielmehr erinnert es an ihre erste EP „PRODUCT“, insbesondere die drei Lieder, die sie mit ihren Kollaborateuren BC Kingdom produziert. Das ist feinster Hyperpop, Kim Petras reiht sich hier perfekt ein und selbst im Oktober entsteht dabei Sommerstimmung. Zusammen mit Liedern wie „Exhilarate“ versprüht das eine Energie, die noch Stunden nach dem Anhören in den Knochen steckt.

„Plunging Asymptote“ oder „Berlin Nightmare“ verraten hingegen die mechanische und raue Natur der Produzentin. Industriell, verzerrt und schrill. Davon wünscht man sich leider etwas mehr auf diesem Album. Denn trotz dieser kreativen, musikalischen Überraschungen verwischen viele der Songs beim ersten Hören ineinander.

Das Fremde, zutiefst menschlich

SOPHIES Musik steht wie kaum eine andere für Innovation und Überraschung. Als Mitschöpferin des Hyperpop-Genres bewegte sie sich zeit ihres Lebens zwischen Avantgarde und Mainstream. Ihre Tracks waren gleichzeitig chaotisch und sorgfältig geplant. Rein synthetisch entlockte sie der Maschine unglaubliche Geräusche und das alles ganz ohne Samples – eine Ausnahmeerscheinung.

„Unpredictable reality has become the algorithm
That is able to solve a whole series of questions
Unpredictable reality has become the algorithm
That is able to solve a whole series of questions in a single manner“

heißt es auf „The Dome’s Protection“. Siebeneinhalb Minuten lang spricht Nina Kraviz im Spoken Word über Algorithmen und andere Dimensionen, während SOPHIES Produktion uns davonschweben lässt. Das Lied steht stellvertretend für das Außergewöhnliche, Fremde und zugleich tief Menschliche in ihrer Musik. 

Denn trotz aller schrillen Töne erinnert man sich bei SOPHIE vor allem an die Wärme ihrer Musik und an frühe Lieder wie „It’s Okay to Cry“ oder „Just like we never said goodbye“. Auf ihre ganze eigene Art und Weise fühlte man sich immer in ihrer Welt voller Roboter und Digitalität willkommen.

Es ist eine Wärme, durch die SOPHIE auch ihre Identität als Transfrau erkundete. Seit ihrem Outing im Jahr 2017 behandelte sie musikalisch Themen von Aufbruch, Einzigartigkeit und Isolation, die leider vielen queeren Leben vertraut sind – immer aber mit einem Optimismus und einer Experimentierfreude, die jede ihrer Liedzeilen versprühte. Ihrem Beitrag zur queeren Musikszene kann in ein paar Sätzen kaum Tribut gezollt werden.

Gemeinschaft und Kollaboration ebenso essenziell für SOPHIE: Als Produzentin arbeitete sie an EPs wie „Vroom Vroom“ (Charli XCX), die maßgeblich den Sound ihrer Musiker:innen prägten. Das zeigen auch die vielen Features auf diesem Album. Bis auf das Intro gesellen sich auf jedem Track alte und neue Wegbegleiter zu ihr. 

Abschiede und Enden

Posthume Alben befinden sich seit jeher in einer unangenehmen Position, eingeengt zwischen dem Wunsch der Fans nach mehr und Anschuldigungen von Geldgier und kommerzieller Ausschlachtung. Nur selten sind sie dem restlichen Werk ihrer Musiker:innen gewachsen, auch „SOPHIE“ gelingt das nicht ganz. Vielleicht liegt das aber auch einfach an den großen Erwartungen, die ich als jahrelanger Fan kaum unterdrücken konnte.

Abschiede sind schließlich immer irgendwie abrupt, unfertig. Das letzte Mal, als ich meinen Onkel bei dem Geburtstag einer gemeinsamen Bekannten sah, konnte ich ihn kaum verstehen. Seit Wochen plagte mich eine Mittelohrentzündung und verhinderte auch dieses Mal jede langanhaltende Konversation. Hätten wir mehr miteinander gesprochen, wenn ich ihn besser verstanden hätte? Worüber?

Mit ähnlichen Fragen lässt mich auch „SOPHIE“ zurück: Was hätte diese wegweisende Musikerin noch geschaffen, wäre sie noch am Leben?

Eigentlich sollte das Album zunächst „TRANSNATION“ heißen, das behaupten zumindest diverse Internettheorien. Ob wirklich etwas dran ist an dieser Namensgebung, bleibt fraglich und doch zeigt sie, was die schottische Musikerin repräsentiert. SOPHIE war und ist eine Ikone, nicht rein für queere Menschen, sondern für alle, die sich trauen, aus vorgefertigten Mustern zu fallen. Ihre Kreativität und Liebe zur Musik lassen sich auf dieser posthumen Platte immer noch spüren, selbst wenn wir ihr abgeschlossenes Werk nie erleben werden.

Titelbild: Sophie Xeon Estate

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Christopher Bertusch - Redaktion

Wünschte er würde Klassik mögen, hört aber lieber Hyperpop-Remixe von Hits der 2000-2010er Jahre, mit passenden 240p-Musikvideos. Mag daneben alles, was ordentlich fetzt, aber gerne auch zum Weinen bringt.

Markiert in:#HyperPop, #SOPHIE,
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