Sieben Jahre nach dem Tod von Frontmann Chester Bennington sind Linkin Park wieder zurück – mit neuen Gesichtern und einem neuen Album. Kurz vor dessen Veröffentlichung stellt sich die Frage: Was macht Linkin Park im Jahr 2024 aus? Und welche Rolle spielt dabei ihre künstlerische Vergangenheit?
Sie selbst haben es am besten ausgedrückt: „The hardest part of ending is starting again“, sangen Linkin Park auf dem Song „Waiting for the End“. Und nun tut die Band genau das. Sie fängt neu an. Sieben Jahre nach dem tragischen Suizid von Sänger Chester Bennington dürfte diese Entscheidung alles andere als leichtgefallen sein.
Doch die Rock-Ikonen der 2000er sind von ihrer mehrjährigen Pause zurückgekehrt ins Studio, in die Charts und auf die Bühnen der Welt. Und mit Schlagzeuger Colin Brittain und Sängerin Emily Armstrong rücken sie neue Gesichter ins Schlaglicht. Dabei fällt Armstrong die nicht zu unterschätzende Aufgabe zu, Chester Bennington am Mikro zu ersetzen. Sie tritt damit unbestritten in große Fußstapfen – und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die Sängerin öffentlichen Gegenwind erhielt. Sowohl ihre mutmaßliche Nähe zur Scientology-Bewegung als auch ihr ehemaliges Engagement für einen inzwischen verurteilten Sexualstraftäter trüben ihr öffentliches Image.
Wenngleich sich die künstlerische Identität von Linkin Park nicht durch diese Kontroverse definieren dürfte, so stellt sich doch die Frage: Welches neue Selbstverständnis prägt die Band? Was macht Linkin Park im Jahr 2024 aus, soll es doch schon dem Titel nach auf dem anstehenden Album „From Zero“ losgehen? Vor der Veröffentlichung lässt sich diese Frage kaum beantworten. Jedoch lohnt sich ein Blick auf das, was Linkin Park bisher künstlerisch und kommerziell erfolgreich gemacht hat.
Die Stimme der 2000er-Jugendkultur
Es ist die Zeit der Jahrtausendwende, als Linkin Park die Mainstream-Rock-Szene mächtig durcheinanderwirbeln. Die Grunge-Rebellion der 90er ist abgeflacht, doch die Existenzängste der jungen Generation sind geblieben. Mit ihrem Debütalbum „Hybrid Theory“ verleihen Linkin Park der Wut und den Selbstzweifeln vieler Jugendlicher einen hymnenhaften Sound. Während Rapper Mike Shinoda mit seinen dichten Reimschemen eine innere Beklemmung beschwört, löst sich in Chester Benningtons unerbittlichem Gesang jegliche Anspannung auf. Shinodas Flows und Benningtons Screams entfalten von Beginn an eine kathartische Dynamik.
Ohne Zweifel tragen die ultra-verletzliche Mischung aus Rap und Metal ebenso wie das Scratching von Joe Hahn am Turntable die Handschrift der frühen 2000er – und dennoch ist Linkin Parks Musik deutlich besser gealtert als die vieler damaliger Zeitgenossen. Das liegt unter anderem daran, dass Hits wie „Numb“ und „Somewhere I Belong“ die jugendlichen Selbstzweifel und Zukunftsängste einer Generation von Beginn an sehr viel ehrlicher verkörpern als Songs von Disturbed oder Limp Bizkit. Bis heute identifizieren sich junge Menschen mit der Art und Weise, wie die Band vor allem in ihrem Frühwerk innere Dämonen konfrontiert. Was man Linkin Park unter Songwriting-Gesichtspunkten anlasten könnte, ist eben auch eine ihrer größten Stärken: die Universalität ihrer Botschaften.
Musikalische Reife und Neuerfindung
Zwar stößt die Schärfe dieser Botschaften häufig dann an Grenzen, wenn sich die Band an politische Inhalte wagt. Gleichzeitig offenbart ihr Songwriting glaubwürdig Empathie und erzählt von der Suche nach dem moralisch Richtigen. Das Album „A Thousand Suns“ von 2010 ist ein Ausdruck dieser Suche und zeugt zugleich von Linkin Parks Bereitschaft, sich nach ihrem kommerziellen Höhepunkt kreativ weiterzuentwickeln. Der Nu-Metal der frühen Jahre ist hier Geschichte, stattdessen öffnet sich die Band atmosphärischen elektronischen Klangwelten, die ebenso warm und tröstlich wie hartherzig klingen können.
Auch als Linkin Park vier Jahre später auf „The Hunting Party“ zu einem harten Rock-Sound zurückkehren, kommt die Neuerfindung nicht zu kurz. Mit einer Produktion, die an den Thrash Metal und Hardcore Punk vergangener Jahrzehnte erinnert, beinhaltet dieses Albums einige der stärksten Refrains und spannendsten Songstrukturen der Bandgeschichte.
Wie umgehen mit Benningtons Erbe?
Nicht immer sind Linkin Park auf ihrer musikalischen Reise richtig abgebogen. Vor allem das letzte Album unter Chester Bennnington, „One More Light“, klingt in weiten Teilen nach einer Anbiederung an den damaligen Pop-Zeitgeist. Doch auch dieser Abschnitt ihrer Karriere täuscht nicht darüber hinweg, dass Linkin Park über die Jahre gemeinsam mit ihrer Hörerschaft gereift sind – und sich in diesem Prozess überzeugend auf ihre Wurzeln zurückzubesinnen verstanden.
Was also heißt das für das neue Kapitel in Linkin Parks Geschichte? Aus den Texten der bisher veröffentlichten Singles wird deutlich, dass sich die Band inmitten all der öffentlichen Erwartungen selbst neu definieren muss. Dabei geht es nicht zuletzt darum, dem Erbe von Chester Bennington gerecht zu werden: „Heavy Is the Crown“, singt Emily Armstrong auf der gleichnamigen zweiten Single. Dennoch haben Linkin Park in einem Interview mit BBC Radio betont, Armstrong habe nicht den Anspruch, Bennington zu ersetzen. Es bleibt also ein Balanceakt: die Vergangenheit würdigen und die Zukunft neugestalten. Ob das unbedingt Widersprüche sein müssen, wird Linkin Parks neues Album zeigen.
Bild: James Minchin / Warner
Mit neuer Besetzung schreiten Linkin Park Richtung Zukunft.
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