Die Fangemeinschaft von Harry Styles hat den Ruf, besonders inklusiv zu sein. Woher kommt dieser Eindruck? Was bedeutet es heute, Fan zu sein? Und was hat die Nostalgie der Anfang 20-Jährigen mit ihrer Krisenerfahrenheit zu tun?
Ein Gastbeitrag von Pauline May
2020. Es ist das erste Jahr der Corona-Pandemie. Vielen Menschen geht es nicht gut, auch Linda aus Prag nicht. Sie muss in Quarantäne, leidet sehr unter der Isolation. „I had lots of mental health problems“, sagt sie. Dann habe sie Harry Styles entdeckt. Inmitten all der Unsicherheit gab ihr seine Musik ein Gefühl von Halt.
Heute sitzt Linda mit einem Freund vor dem Olympiastadion in München. Lindas Vater hat die beiden von Prag nach München gefahren, nach dem Konzert wird er sie wieder abholen, dreieinhalb Stunden hin, dreieinhalb Stunden zurück, um Harry Styles in echt zu erleben. Nach außen hin wirkt Linda ruhig, aber man merkt ihr an, dass der Konzertbesuch sie emotional mitnimmt. Nicht nur, weil sie die Musik von Styles schön findet. Sondern vor allem, weil es endlich wieder möglich ist, sich in einem Stadion gemeinsam mit 50 000 anderen Menschen von ihr berühren zu lassen. Sich Fremden nah zu fühlen.
Progressive Nostalgie
Die Euphorie darüber ist auch bei anderen Konzertgänger*innen zu spüren. Julie, 21, angereist aus Berlin, erzählt, dass sie OneDirection-Fan sei, seit sie 13 ist. „Fansein ist mittlerweile Teil meiner Identität. Und hier zu sein, das ist wie nachhause kommen“, sagt sie.
Es ist ein Hauch warmer Nostalgie, der nicht nur aus Julie, sondern auch aus vielen anderen Fans spricht, wenn sie davon erzählen, dass sie mit Harry Styles großgeworden sind.
Aber es ist kein konservatives Sehnen nach alten Zeiten, das ihre Nostalgie auszeichnet. Nicht konservativ in dem Sinne, dass die Menschen sich hier wünschen, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Sie wissen, dass nie wieder alles so wie früher sein wird. Und das soll es auch gar nicht sein.
Die Leute wollen in dieser Nacht schließlich ungestört pinke Hosenanzüge, Federstolen, Glitzerkleider, Herzchensonnenbrillen tragen, sich in ein altbekanntes Gefühl der Verbundenheit einhüllen lassen und dabei für einen Moment nicht darüber nachdenken, dass sie normalerweise in einer Welt leben, in der Glitzerhosenanzügen und rosa Lidschatten ein Geschlecht zugeordnet wird.
Queere Utopie oder Regenbogenkapitalismus?
Wie wichtig es für sie ist, einen Ort zu haben, an dem sie sich frei ausdrücken können, betonen auch Joy und Büsra aus Aichach. „Harry ist schon ein Vorbild. Ich finde es cool, dass er auch als Mann seine feminine Seite zeigt“, sagt Joy. „Ich glaube, das ist gerade für jüngere Personen wichtig, dass sie eine Comfort Person haben, die vermittelt, dass man nicht allen Geschlechternormen entsprechen muss.“ Viele Menschen, die sich heute im Olympiastadion befinden, würden ihr wohl zustimmen. Innerhalb der queeren Community gibt es jedoch auch einige Stimmen, die die Stilisierung Styles als queere Ikone kritisch sehen. Schließlich sei er noch immer ein normschöner, weißer Cis-Mann, der mit der Aneignung queerer Symbolik viel Geld verdiene, dabei jedoch zu unpolitisch agiere. Währenddessen blieben beispielsweise Schwarze LGBTQIA+-Entertainer*innen häufig übersehen. Es ist eine Gretchenfrage: Nützt oder schadet es queeren Menschen mehr, wenn queere Symboliken durch die Aneignung von Männern, die öffentlich als cisgender und heterosexuell auftreten, immer mehr Teil des Mainstreams werden? Ist diese Sichtbarmachung ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Akzeptanz? Oder einfach Rainbow Capitalism, der zur Entpolitisierung queerer Kämpfe führt?
Diese Fragen werden an diesem Abend jedoch nicht gestellt, die Menschen sind hier, um zu feiern. Joy in einem langes weißes Häkelkleid, Büsra in einem schwarz-weiß-karierten Jumpsuit. „Die Leute kommen voll bunt gekleidet, Federboas, Hüte. Die trauen sich, weil sie wissen, sie sind hier sicher.“ Auch das Feiern wirkt hier politisch. Aus jenem Sicherheitsgefühl heraus, so erzählen es jedenfalls Büsra und Joy aus Aichach, sei es am Mittwochabend in der Olympiahalle auch dazu gekommen, dass Fans sich beim Anblick vor lauter Ehrfurcht vor Styles auf den Boden geworfen hätten. Hätten sie mitgemacht? „Safe, ich wär die Erste“, ruft Büsra.
Die beiden gehen in ihrer Freizeit oft auf Konzerte – „so viel, wie unser Lohn das zulässt“. Denn die Karten würden immer teurer. Die Tickets für ein Harry Styles-Konzert kosten in der höchsten Preiskategorie rund 180 Euro. Hier endet ein Stück weit die von Styles propagierte Inklusivität. You know it’s not the same as it was.
Helen aus Heidelberg, rosa Lidschatten, lila Herzchensonnenbrille, dazu: „Natürlich ist er ein Vorbild, aber wir wissen auch, dass er nicht perfekt ist“. Dann zieht sie von dannen. Dabei schweben einige der lila Federn aus ihrer Stola zu Boden, mischen sich unter die pink-dunkelblau-grasgrünen Knäuele, die sich bereits aus den Federverlusten anderer Fans gebildet haben und den Weg zum Olympiastadion zu weisen scheinen. Es hat etwas märchenhaftes.
Barbara Welsch
Juni 10, 2023 / at 9:18 am
Toller Artikel, er beschreibt gut was Harry Styles seinen Fans bedeutet, aber auch, dass Musik und alles drumherum ab einer gewissen Größe auch den Marktmechanismen unterliegt.
Hadwig
Juni 10, 2023 / at 9:55 am
Super Text, nimmt einen richtig mit und trifft genau den Nerv der Problematik.