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The Future Sound of London – Dead Cities (1996)

4. Mai 20233 Min. gelesen

Die Großstadt diente in der Kunst häufig als Symbol des Verfalls. Man denke nur an die Malerei des Expressionismus, die bereits im späten 19. Jahrhundert die verwinkelten urbanen Fassaden als einengende Monstren darstellte. Etwa 100 Jahre später verarbeiten die Engländer Garry Cobain und Brian Dougans jene städtische Verwahrlosung auf ganz andere Weise in ihrer Kunst: auf einem elektronischen Musikalbum namens „Dead Cities“.

1988 beginnen Cobain und Dougans, gemeinsam unter dem Namen The Future Sound of London Musik zu machen. Das Duo experimentiert mit den vielfältigen elektronischen Spielarten der Zeit, von Big Beat und Drum’n’Bass hin zu Trip Hop und Ambient, hinzu kommen Jazz und psychedelischen Einflüsse. Seine Musik fällt unter die etwas prätentiöse und vage Genrebezeichnung „IDM“ (Intelligent Dance Music).

Dass „Dead Cities“ jedoch ein zutiefst kreatives und komplexes Album ist, lässt sich kaum verleugnen. Mit detailreicher Produktion und einem scharfsinnigen Gespür für Atmosphäre schaffen The Future Sound of London ein surreales Meisterwerk, das plastischer und lebendiger wirkt als so mancher Kinofilm.

Diesen Eindruck prägen auch die zahlreichen Filmausschnitte, die das Duo hier als Samples verwendet. So beginnt der Titelsong „Dead Cities“ mit einem Zitat, das einen erschaudern lässt: „I had killed a man. A man who looked like me.” Es schleichen sich immer weitere hypnotisierend düstere Sound-Elemente ein, um die Spannung zu erhalten: mystische Keyboard-Motive, metallische Perkussion, Krächzen und Rasseln.

Die 13 Stücke dieses Albums haben fragmentarischen Charakter, sie sind in ihrer Struktur oft nicht linear. Dennoch entfalten sie dank ihrer klanglichen Tiefe und Textur eine ungeheure Wirkung: ob nun der schmetternden Banger „We Have Explosive“, das spacige „Glass“ oder das neoklassisch inspirierte „Max“ mit dem Komponisten Max Richter am Klavier.

Manchmal treffen hier innerhalb eines einzelnen Songs die bedrohlichsten und zauberhaftesten Klänge aufeinander: wie auf „Quagmire/In a State of Permanent Abyss“, wo sich ein Sturm dissonant krachender Perkussion irgendwann in eine wundersam harmonische Melodie auflöst. Hier manifestiert sich die gesamte stilistische Vielförmigkeit, die The Future Sound of London in den 90er-Jahren zu einem solch visionären Projekt macht. 

Cobain und Dougans entführen einen auf diesem Album in die dunkelsten und dreckigsten Ecken der Großstadt, die sich zugleich albtraumhaft und verführerisch wie geheime Welten vor einem auftun. The Future Sound of London entwickeln damit eine Ästhetik, die in der elektronischen Musikszene der Zeit kein anderes Projekt nachzuahmen versucht und noch heute ihresgleichen sucht.

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Felix Meinert - Redaktion

Schon mit fünf Jahren war ich musikalisch begeistert: Damals trat ich mit meiner Fantasieband vor meiner Familie auf, sang (besser: schrie) auf meiner Fantasiesprache und trommelte mit Plastikstöcken unkontrolliert auf meinem Hüpfball herum. Da der ersehnte Durchbruch aber ausblieb, tobe ich mich heute lieber beim Hören und Schreiben aus. Oft feuilletonistisch, gerne nachdenklich bis nörglerisch, stets aber von Herzen schreibe ich über so ziemlich alles zwischen Rock, Pop, Folk, Hip-Hop, Jazz und elektronischer Musik.

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