Musik begeistert uns. Sie bringt uns zum Tanzen, Weinen oder Lachen. Zumindest gilt das für Musik, die wir mögen. Doch was ist eigentlich mit ungeliebter Musik? Warum gefallen uns gewisse Lieder überhaupt nicht?
Seit Monaten planen meine Freunde mit mir einen Ausflug in den Schlagergarten. Dabei mögen wir gar keinen Schlager, der ist doch viel zu schnulzig, zu einfach und zu „unmusikalisch”. Trotzdem freuen wir uns und würden vermutlich bei mehr als einem Lied fröhlich mitwippen. Man kennt das bestimmt: Eigentlich mag man diese Art von Musik, dieses Genre gar nicht. Doch dann kommt dieser eine Song auf dieser einen Party, man ist mit seinen Freunden zusammen und tanzt einfach drauflos. Vielleicht sind das diese Guilty Pleasures, von denen man so gerne redet. Eigentlich mag ich den Schlager nicht, aber „Verdammt ich lieb dich“ von Matthias Reim ist doch eine ziemliche Stimmungskanone.
„Das ist keine Musik!“
„Musik ist schließlich immer situationsabhängig, das ist hier das Stichwort“, erklärt Dr. Julia Merrill. Sie erforscht am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik das Phänomen der „abgelehnten Musik”: Welche Gründe lassen sich dafür finden, dass wir gewisse Musik nicht mögen? Bislang hat sie sich dieser Thematik in zwei Studien gewidmet und dabei vor allem Musikstile, aber auch einzelne Songs und Künstler:innen betrachtet. Die Vorlieben und Abneigungen ihrer Proband:innen wurden anhand von Interviews und Fragebögen ausgewertet.
Hört man sich auf der Straße um, welche musikalischen Genres nicht gemocht werden, treten wohl einige bekannte Namen auf: Heavy Metal, Schlager, Pop, klassische Musik, Techno, EDM und „das ganze elektronische Zeug”. Gerne hört man den Spruch: „Das ist gar keine Musik“, so berichtet auch Dr. Merrill von ihren Proband:innen. Man müsste sich wahrscheinlich an die eigene Nase fassen und erkennen, dass man diesen Spruch selbst schon einmal gebracht hat.
Aber warum eigentlich?
Dr. Merill und ihr Team finden dafür drei mögliche Begründungen. Zunächst gibt es „objektbezogene“ Gründe: Das ist alles, was mit der Musik selbst zu tun hat. Vielleicht ist einem der Rhythmus zu schnell oder die Melodie klingt etwas schief. „Der Volksmusik und dem Schlager wird gerne nachgesagt, dass sie musikalisch ‚zu einfach‘ sind.“ Auch die Länge kann eine Rolle spielen, zum Beispiel bei der Oper. Die richtige Stimme ist wichtig, Proband:innen kritisieren das „Growling” im Heavy Metal oder den „Twang” in der Country-Musik. Joe Cockers raue Stimme ist im Gegenzug vielen ein Ohrenschmaus. Angebliche Nischenmusik wird häufiger abgelehnt – Musik, die als etwas Spezielles oder Außergewöhnliches angesehen wird. Blues oder Jazz werden als technisch komplex verstanden, ebenso die klassische Musik. Heavy Metal und Techno mögen viele aufgrund ihrer „empfundenen Lautheit“ nicht.
Welche Musik man mag oder nicht mag, hängt natürlich von einem – recht offensichtlichen – Faktor ab: der eigenen Persönlichkeit. Als Zweites gibt es also die personenbezogenen Gründe. Was macht die Musik mit mir, wenn ich sie anhöre? „Es gibt einen Unterschied zwischen dem wahrgenommenen Ausdruck der Musik und dem in mir ausgelösten Gefühl. Hier kann es, gewollt oder ungewollt, zu einem Mismatch kommen. Zur Ablehnung kommt es, wenn die Musik in mir nicht das auslöst, was ich gerne hätte.“ Gewollt ist dieser Mismatch bei der traurigen Musik. Ich höre gerne depressive Liebeslieder, um mich verstanden und dadurch eigentlich wieder besser zu fühlen. Wenn etwas als fröhlich und aufmunternd verstanden werden soll, in mir selbst aber nur schlechte Laune auslöst – dann kommt es zur Ablehnung.
Schlussendlich definieren auch soziale Gründe und Werte unseren Musikgeschmack. Was hört zum Beispiel meine Familie, mein Milieu oder die eigene Freundesgruppe und was lehnt sie ab? „Es gibt Musik, die mit gewissen Gruppen assoziiert wird.“ Stimmen die Werte dieser Gruppe nicht mit meinen eigenen überein, lehne ich ihre Musik ab. Ein offensichtliches Beispiel ist der Rechtsrock. Aber auch Genres wie dem Heavy Metal oder gewisser Szenenmusik werden Werte zugeschrieben, die anderen Zuhörer:innen widersprechen. Der Popmusik wird gerne nachgesagt, dass sie nicht authentisch genug sei, sich ihre Künstler:innen nur verkauften. Die Indie-Musik erscheint vielen im Gegenzug sympathischer. „Hier schwingen viele gesellschaftliche Konzepte und Begründungen mit: Das Narrativ der kleinen Bands, die sich gegen die böse Musikindustrie und die großen Labels behaupten.“
Die Henne oder das Ei
Musik dient vielfältigen Funktionen. Man hört sie zur Motivation beim Lernen oder Sport, man hört sie, um der Langeweile beim Putzen zu entgehen oder sich wohlzufühlen. Man hört sie auf einer Party, um mit anderen Menschen zu tanzen oder intim zu zweit für die besondere Stimmung. Abgelehnte Musik hört man nicht, sie dient aber zur gesellschaftlichen Abgrenzung und Gruppenzugehörigkeit. Ein gemeinsamer Dislike kann verbinden. „Mit so einer Abgrenzung behaupten die Menschen auch einen besseren Musikgeschmack als der normale Hörer zu besitzen. So etwas auszusprechen wäre aber sehr arrogant. Daher muss man oft etwas zwischen den Zeilen lesen.“, erwähnt Dr. Merrill.
Wie diese drei Gründe letztendlich miteinander zusammenhängen, lässt sich nur schwer sagen: „Das ist ein bisschen wie die Henne und das Ei, wir wissen nicht ganz, was zuerst kam. Sind es wirklich nur objektbezogene Gründe, aus denen wir Musik ablehnen? Wahrscheinlich nicht.“ Vielleicht könnte man sagen, dass alle Ablehnungen im Grunde sozial begründet sind? Auf jeden Fall erscheinen die emotionalen Gründe meist ausschlaggebender als die rein musikalischen.
Aus dem Raum stürmen
Was passiert nun mit uns, wenn wir Musik hören, die wir so gar nicht mögen? Unsere körperlichen Reaktionen scheinen bei geliebter und ungeliebter Musik beinahe gleich zu sein. Es können hier vergleichbare Erregungszustände gemessen werden. Selbst bei gehassten Liedern schlägt mein Herz, lässt sich eine ähnliche elektrodermale Aktivität auf meiner Haut messen. Der Serotonin-Hit bleibt aber aus, abgelehnte Musik kann zu Stress oder gar zur Wut führen. „Es gibt extreme Reaktionen, Menschen, die beispielsweise aus dem Raum gehen oder sagen, sie würden sich nie mit jemanden anfreunden, der diese spezielle Musik hört.“
Der Grad dieser Reaktionen hängt erneut von der eigenen Persönlichkeit ab. Laut Dr. Merrill gibt es Proband:innen, die Musik als etwas fundamental Wichtiges ansehen, sie ständig hören und oft empfindlicher auf abgelehnte Musik reagieren, sich schneller angegriffen fühlen. Und dann gibt es solche, die sagen, sie „hören eigentlich alles” und locker reagieren – wobei diese Aussage meist nicht wirklich stimmt.
„Das ist ganz okay“
All diese Aussagen sind natürlich verallgemeinert. Es gibt immer einen „Spielraum“, in dem man Menschen auch zur abgelehnten Musik motivieren kann, betont Dr. Merrill. Man denke erneut an die oben angesprochenen Guilty Pleasures oder an Situationen, in denen man auch zu einem gehassten Genre tanzt.
In der Mitte von Hass und Liebe existiert schließlich die Neutralität. Musik, die man hört und von der man sagt: „Das ist ganz okay” oder „Das ist einfach langweilig„. Das wäre vielleicht der nächste Betrachtungsgegenstand für Dr. Merill: „Ich würde gerne untersuchen, wie Leute körperlich reagieren, wenn sie ‚langweilige‘ Musik hören. Gibt es hier Diskrepanzen zwischen ihrer Aussage und den Empfindungen ihres Körpers? Das wäre spannend zu beobachten.“ Vielleicht ertappt man sich sogar bei den langweiligen Liedern beim Mitwippen, ähnlich wie ich beim Schlager.
Was denkst du?
Kommentare anzeigen / Kommentar hinterlassen