Belächelt, ignoriert, kommodifiziert: Die Rockmusik der indigenen Bevölkerung Australiens stößt bis heute auf gesellschaftliche Mauern. Eine Geschichte über Landraub, Widerstand und das Streben nach kultureller Selbstbehauptung.
1963 verpachtet die australische Regierung ein Stück Land im Northern Territory, an der Nordspitze des Landes, an eine Bergbaufirma. Damit einher gehen Abbaurechte für das Mineral Bauxit, welches dort im Boden zu finden ist. Ein normaler Vorgang im Australien der Nachkriegszeit. Doch es regt sich Widerstand. Ein Stamm der indigenen Bevölkerung der Region schickt eine auf Rinde geschriebene Petition in die Hauptstadt Canberra: Sie, die Yolngu, seien die traditionellen Eigentümer dieses Landes und die Regierung habe kein Recht, indigenes Eigentum zu verpachten. Es folgen weitere Petitionen, die Yolngu gehen bis vor das oberste Gericht des Northern Territory gehen. Vergeblich. Die australischen Gesetze erkennen kein indigenes Recht an. Die Mine, die auf dem traditionellen Territorium der Yolngu 1971 entsteht, existiert bis heute.
Der Fall „Milirrpum v. Nabalco Pty Ltd“, wie die Entscheidung des Gerichts genannt wird, bleibt jedoch nicht ohne Folgen. Das Urteil, gemeinsam mit anderen Initiativen indigener Stämme für die Anerkennung ihres Status als Eigentümer des australischen Bodens, prägt die Politik der 1970er. Australien, seit über 20 Jahren regiert von konservativen Kräften, erwacht langsam aus dem Schlaf. Das Land öffnet sich, nach außen und nach innen. Davon profitiert auch die aboriginal Bevölkerung. Unter dem Premierminister Gough Whitlam wird das erste Gesetz entworfen, das die indigenen Landrechte der traditionellen Eigentümer des australischen Bodens anerkennt. Sein Nachfolger Malcolm Fraser baut darauf auf und schützt neben den Landrechten auch die Rechte der Aboriginals auf ihr kulturelles Eigentum. Darüber hinaus werden in dieser Zeit mehrere Institutionen gegründet, die der Bewahrung und Förderung indigener Kunst und Musik dienen sollen.
Erzwungene Modernisierung?
Zu diesem Zeitpunkt hat sich „traditionelle“ indigene Musik durch fast zwei Jahrhunderte Kolonisation, Zwangsumsiedlung und die Trennung von Familien bereits drastisch verändert. Klangstäbe und das Blasinstrument Didgeridoo sind kommodifizierte Stereotype der Musik der Aboriginals geworden. Sie sind zwar noch von Bedeutung, haben aber in vielen Communities ihren zentralen Platz in der Musikkultur an Western und Country-Musik abgegeben. Ureinwohner, die in die Städte gezogen sind, sträuben sich vor der als „zurückgeblieben“ empfundenen Kultur ihrer Vorfahren und versuchen, sich zu assimilieren. In dieser Atmosphäre ermöglichen die Initiativen der Regierung zwar eine Aufwertung von und Rückkehr zu traditionellen Praktiken. In erster Linie fördern sie aber Musiker:innen, die fest in der Moderne verankert sind.
Erste Blüten trägt diese Förderung am 1972 gegründeten Center for Aboriginal Studies in Music in Adelaide. Das Ziel des CASM ist es, indigene Musiker:innen voranzubringen und zur Bildung einer musikalischen Synthese aus Tradition und Moderne beizutragen. Hier gründen sich die Bands No Fixed Address, Us Mob und Coloured Stone. Sie verarbeiten in ihren Songs ihre Erfahrungen von alltäglichem Rassismus, von Belästigung durch die Polizei und von der genozidalen Behandlung der indigenen Bevölkerung in Australien. Besonders eindrücklich schildert dies der Film „Wrong Side of the Road”, der NFA und UM Anfang der 80er auf Tour folgt. Musikalischen Anschluss finden diese Bands allerdings nicht bei traditionellen Melodien, sondern in Amerika. Sie identifizieren sich mit afroamerikanischen Reggae-Musiker:innen, die die Unterdrückung der Schwarzen in den USA und der Karibik thematisieren. Mit ihnen beginnt der Aboriginal Rock.
Indigene Bands verbinden musikalische Traditionen Elemente mit Rock und Reggae
Songs wie „We Have Survived” und „Genocide” zeigen diese Verbindung von Reggae und der indigenen Identität der Bands. Besonders das Album „Koonibba Rock” von Coloured Stone kombiniert moderne Musik mit den eigenen Geschichten und Sorgen. Das melodische und emphatische „Black Boy” dient als Manifest des Stolzes auf die eigene Hautfarbe. „Kapi Pulka” mischt das Thema der Regenzeit mit ansteckenden Basslines und Gitarrensoli, die das Warten auf den erlösenden Regen perfekt einfangen. Und der Song integriert auch zum ersten Mal traditionelle Instrumente mit moderner Musik – der Song wird von einem Didgeridoo eingeleitet.
Im Zuge dieser musikalischen Entwicklung gründen sich weitere Bands, die Reggae und Rock mit dezidiert aboriginal Charakter machen. Warumpi Band kreiert mit „Blackfella/Whitefella” eine Hymne für die gegenseitige Solidarität von Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben. Und ihr Song „My Island Home” resoniert auch mit eingewanderten Australier:innen, die diesen Inselkontinent ihre Heimat nennen. „Jailanguru Pakarnu (Out from Jail)”, „Warumpinya (Papunya)” und „Waru (Fire)” sind eingängige Rocksongs, deren Texte ausschließlich in der Sprache Luritja verfasst sind. Ende der 80er tritt eine weitere Band ins Rampenlicht: Yothu Yindi. Sie behandeln die Notwendigkeit von bilingualer Erziehung indigener Kinder, das fehlgeleitete Verständnis des vorkolonialen Australien als terra nullius – und die Rückkehr auf den Boden ihrer Vorfahren. Ihr Frontsänger, der Yolngu-Mann Mandawuy Yunupingu, ist der Sohn des Verfassers der Petition von 1963.
Alles leere Worte? Oder: Der Kampf um das Land
Zusammen mit seinem Bruder und anderen Elders der indigenen Stämme des Northern Territory verfasst Mandawuy 1988 das „Burunga-Statement”, in dem der Premierminister Bob Hawke aufgefordert wird, die Eigentümerschaft der Aboriginals über ihr Land zu bestätigen. Hawke verspricht vor laufender Kamera, bis zum Ende seiner Amtszeit einen Vertrag mit der indigenen Bevölkerung des Nordens über ihr Eigentum zu schließen. 1992 wird in einem Gerichtsurteil die Entscheidung über die Mine auf Mandawuys Land widerlegt. Doch viel mehr passiert nicht. Der Premierminister hält sein Versprechen nicht, die Mine bleibt weiter bestehen. Yothu Yindi veröffentlichen als Reaktion den Song „Treaty”. Sie erzählen von ihrer Enttäuschung: „Words are easy / Words are cheap / Much cheaper than our priceless land / But promises can disappear / Like writing in the sand”. Sie fordern einen Vertrag, und zwar sofort.
„Treaty” nutzt ebenfalls einen Mix aus traditionellen und modernen Instrumenten, Rock-Musik und Didgeridoo-Musik aus der Kindheit Mandawuys, als es noch keine Mine gab. Er singt sowohl auf Englisch als auch auf Yolngu. Zuerst erfährt das Lied kaum Aufmerksamkeit. Nachdem in Melbourne zwei DJs jedoch einen Remix von „Treaty” herausbringen, explodiert seine Popularität. Er wird zum ersten nationalen Hit, der in einer indigenen Sprache gesungen wird. Aber selbst die dadurch generierte Aufmerksamkeit verpufft. Australien durchlebt Jahrzehnte des Konservatismus. Anstatt eines Vertrags bekommen die Aboirginals Einschränkungen ihrer Rechte, stärkere Polizeiüberwachung, und nicht einmal eine Entschuldigung für den an ihnen verübten Genozid.
Mainstream – und dann?
Fehlender politischer Fortschritt geht einher mit ausbleibendem Interesse der Öffentlichkeit. Midnight Oil oder Goanna feiern Erfolge mit Liedern über das gestohlene Land der Indigenen, Paul Kelly mit Geschichten über den indigenen Kampf um Landrechte: alles weiße Musiker:innen. Aboriginal Bands, die aus der Sicht der Bestohlenen ähnlich eindrucksvolle Songs veröffentlichen, werden oft weniger beachtet. Ein Album der Warumpi Band heißt „Big Name, No Blanket”: Sie sind zwar bekannt, aber können davon kaum leben. Anders als „Treaty” schaffen es Songs von aboriginal Bands selten in die Charts. In der kürzlich abgehaltenen, öffentlichen Abstimmung des beliebten Radiosenders triple j zu den 100 besten australischen Songs werden gerade mal zwei von indigenen Künstler:innen gewählt. Der Remix von Treaty ist einer von ihnen. Wenn Lieder, Alben oder Bands anerkannt und geehrt werden, nationale Preise gewinnen, dann immer nur in der Kategorie „Indigene Veröffentlichung”.
Diese Kategorisierung als Musiker:innen zweiter Klasse, als zuerst indigen und danach Musiker:in, bleibt systemisch. Yothu Yindis erstes Album wird nur aufgelegt, weil bloß die Hälfte der darauf enthaltenen Lieder aus rein traditioneller Musik besteht. Anders sieht die Plattenfirma keine Verkaufsperspektive. Coloured Stone versucht sich ganz abzugrenzen und nicht mehr als indigene Band aufzutreten. Aboriginal Musik kann aus dem ihr auferlegten Rahmen der vermeintlichen Traditionalität nicht ausbrechen. Es besteht keinerlei Interesse an Rock aus indigenen Communities. Die ethnische Identität der Musizierenden bestimmt den Wert der Musik, nicht die musikalische Qualität.
Das Erbe des Aboriginal Rock
Dabei sind die Bands, die diese Generation des Aboriginal Rock der 80er bildeten, schlicht ausgezeichnete Bands. Ihre Musik ist innovativ, technisch ausgereift und vor allem schön, mitreißend, inspirierend. Die Verwendung eines Didgeridoos ist nicht das einzige Merkmal, das dieses Genre ausmacht. Natürlich haben die Songs mit indigenen Elementen ein gewisses Flair. Es würde den Künstler:innen allerdings Unrecht tun, sie darauf zu reduzieren.
Aboriginal Rock entstand in einem komplexen Spannungsfeld aus Fortschritt und Rückbesinnung. Er existierte in dem anscheinenden Gegensatz von Stolz auf die eigene Kultur und Identität und dem Wunsch, als gleichberechtigter Teil der australischen Gesellschaft anerkannt zu werden. Er war geprägt von einer Stimmung des Aufbruchs und des Optimismus, der die Realität nicht gerecht wurde. Gleichzeitig dienten Bands wie Yothu Yindi und Coloured Stone neuen Generationen indigener Künstler:innen als Inspiration, Musik zu machen und in dieser Musik auf dem Recht auf ihr Eigentum, den Boden, zu bestehen.
Die Mine, die sich auf Mandawuys Land befindet, ist noch in Betrieb. Sie soll aber bis 2030 schließen. Es bleiben die Folgen des Bergbaus für die Umwelt. Erst in 100 Jahren wird der Boden wieder naturalisiert sein. Ohne die Mine wendet sich die indigene Community in Yirrkala zum Tourismus als Haupterwerbsquelle. Aboriginals müssen sich also weiterhin in dem Netz von Bodenrechten, Kommodifizierung ihrer Kultur und der selbstbewussten Behauptung ihrer Identität bewegen. Immerhin können sie dabei gute Musik hören.
Bild: Wikimedia Commons – die Landschaft des Northern Territory in Australien




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